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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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war er kein Killer. Er war gerade mal dreizehn Jahre alt, um Himmels willen! Er war ein Opfer, ein vernachlässigter, seelisch geschundener kleiner Mensch. Aber er war eben auch bedrohlich. Vor allem, weil ihm alles und jeder egal zu sein schien. Inklusive seiner selbst.
    »Jegor«, sagte Susann, als der Junge reglos vor dem zitternden Mädchen verharrte. »Setz dich wieder hin.«
    Jegor ignorierte sie. Er starrte weiterhin das Mädchen an, das zu weinen begann.
    Die ganze Klasse hielt die Luft an. Niemand wagte es, einzuschreiten.
    »Jegor!«, sagte Susann mit lauter, fester Stimme. »Du setzt dich jetzt sofort wieder hin!«
    Er drehte sich zu ihr um. »Fick dich«, sagte er so gelassen und beiläufig, als hätte er seiner Lehrerin einen schönen Tag gewünscht.
    Da brannte bei Susann eine Sicherung durch. Sie packte Jegor am Arm, zerrte ihn hinter sich her und rief: »Du kommst jetzt sofort mit zum Schulleiter!«
    Jegor versuchte, sich ihrem Griff zu entwinden, doch Susanns Adrenalinspiegel verlieh ihr beträchtliche Kräfte und Entschlossenheit. Sie packte Jegors Arm noch fester, woraufhin er wütend aufschrie, versuchte, sich zu befreien, und sich dabei so unglücklich drehte, dass er noch einmal laut aufschrie. Diesmal aber war es keine Wut oder Ausdruck seiner offenkundigen psychischen Störung, die den Schrei verursachte, es war Schmerz. Er hatte sich das Schultergelenk ausgekugelt.
    Was dann folgte, war die Hölle. Gegen Susann wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Sie, die Jegor freiwillig in ihre Klasse aufgenommen und lange versucht hatte, ihm zu helfen, wurde nun angeklagt, den Jungen brutal misshandelt zu haben. Für die Beamten in der Anhörung gab es wenig Spielraum. Die Fakten sprachen gegen Susann: Alles, was Jegor sich zuschulden hatte kommen lassen, war, mitten im Unterricht aufzustehen. Er hatte niemanden bedroht, nicht einmal wirklich gestört. Dass seine »Unruhe«, für die im Zeitalter des ADHS großes Verständnis herrschte, sehr wohl eine bedrohliche Komponente hatte und dass Jegors Verletzung ein Unfall, eine unglückliche Verkettung von Bewegungen war, konnte Susann nicht glaubhaft belegen. Sie erhielt eine Abmahnung. Nur der Intervention des Rektors war es zu verdanken, dass sie die Schule nicht verlassen musste. Es wurden allerdings aufwendige Stundenplanänderungen vorgenommen, damit Susann Jegor nicht mehr unterrichtete. In ihren Fächern musste er die Kurse der Parallelklasse besuchen, was wiederum die Eltern der dortigen Kinder zu Protesten bei der Schulbehörde veranlasste. Es wäre einfacher gewesen, Jegor komplett in eine neue Klasse zu geben, doch kein Lehrer war bereit, ihn aufzunehmen.
    Über zwei Wochen dauerten die Anhörungen, die Diskussionen, der Ärger. Jegors Eltern hatten Anzeige wegen Körperverletzung gegen Susann erstattet, nach ein paar Tagen aber wieder zurückgezogen. Die Sozialarbeiterin, die Jegors Familie betreute, erzählte Susann im Vertrauen, dass die einfach zu faul gewesen waren, den ganzen Papierkram auszufüllen und sich um den »ganzen Mist« zu kümmern. So oft, wie Jegors Vater seinen Sohn schlug, schien es ihnen am Ende des Tages nicht so wichtig, dass ausnahmsweise auch mal eine Lehrerin diese Aufgabe übernommen hatte.
    Am meisten ärgerte Susann, dass ihr Kollege Berg ihr fortan seine Solidarität bekundete. Berg, den Susann als Rassisten und Idioten verachtete, fand es absolut nachvollziehbar, dass sie dem »kleinen Scheißer« eine »geditscht« hatte. Irgendwann brennt einem eben die Sicherung durch, fand Berg.
    »Wie konnte das passieren, dass irgendein Arschloch, das vermutlich die NPD wählt, plötzlich glaubt, mein bester Freund zu sein?«, hatte Susann am Abendbrottisch geklagt.
    »Das geht vorbei«, hatte ich sie zu trösten versucht.

    Und so schien es tatsächlich. Drei Wochen später konnte Susann wieder über andere Dinge reden, der Vorfall war zwar noch präsent, aber er beherrschte nicht mehr vierundzwanzig Stunden ihres Tages. Doch dann, gerade als wir dachten, es sei vorbei, kam der ganz große Schreck.
    Es war an einem Mittwoch. Nele kam nachmittags vom Keyboard-Unterricht, der nur zwei Straßen von unserem Haus entfernt stattfand, und bog in unsere Straße ein, als plötzlich Jegor aus einem Hauseingang trat. Er stellte sich ihr mitten in den Weg.
    »Hallo«, sagte Nele.
    Sie war fest entschlossen, freundlich zu sein, denn obwohl sie mitbekommen hatte, was passiert war, war sie davon überzeugt, dass Jegor nicht wirklich

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