Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
Vom Netzwerk:
zweimal um die Welt reisen können. Er kaufte so viele Blumen, so riesige Sträuße, dass Petra irgendwann maulte, dass er für das ganze Grünzeug gefälligst auch mal eine zusätzliche Vase besorgen solle.
    Dille ging mit Petra sogar ins Theater. Schließlich taten das doch feingeistige Homosexuelle, mit denen er ja offenbar konkurrieren musste. Dille besorgte sich Thalia-Freikarten von Sven, allerdings nicht für eines von Svens Stücken, die ihm alle zu politisch und schwierig erschienen, sondern für König Lear. Das Stück spielte im Mittelalter mit Rittern und so. Da gäbe es wenigstens ein paar zünftige Degenduelle oder Schwertkämpfe, hoffte Dille. Wenige Minuten, nachdem sich der Vorhang gehoben hatte, begann er, seine Idee zu bereuen: Auf einer fast leeren Bühne rannten irgendwelche Leute herum, die ständig »Plasma!«, »Lügen!« und »Imagination!« riefen. Dann wurde ein Film auf die Wand projiziert, in dem sich Windmühlen in Atomkraftwerke verwandelten, und irgend so ein Typ, der sollte wohl König sein oder Fürst oder Kanzler, hielt eine ewig lange Rede über Utopien und Karl Marx und dass menschliche Updates eine Illusion seien. Und dann tanzte der König Breakdance.
    Dille hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was diese Idioten da faselten und trieben. Im Kino hätte er gefragt: »Ist das schon der Film oder noch Werbung?«
    Nach einer halben Stunde stupste ihn Petra an, weil er schnarchte. In der Pause verließen sie das Theater. Petra schwor hoch und heilig, dass sie es auch blöd gefunden hatte. Sie gingen zum Italiener und aßen Pizza, und so wurde der Abend noch richtig schön.
    Dilles Guter-Ehemann-Anstrengungen ließen irgendwann nach. Wie alles bei Dille zwangsläufig irgendwann abebbte. Die Blumen wurden weniger, und Pizza konnte man sich auch liefern lassen, anstatt mit großem Aufwand irgendwo hinzugehen. War ja auch billiger. Petra fand das insgeheim erleichternd. Der aufmerksame Dille war irgendwie rührend und süß – aber vor allem war er anstrengend und unfreiwillig komisch. Einmal hatte Petra Susann erzählt, dass Dille sich heimlich ein Buch bestellt hatte, in dem es darum ging, wie Mann ein besserer und aufmerksamerer Liebhaber wird. Darin stand auch etwas über den weiblichen G-Punkt, der sich angeblich etwa sechs Zentimeter oberhalb des Schambeinansatzes befinde und den der Mann sanft stimulieren müsse, während er die Frau penetrierte. Dille hatte das unter bemerkenswerten Verrenkungen ernsthaft versucht und war total sauer gewesen, als Petra einen Lachkrampf bekommen hatte. Aber was sollte sie auch tun? Dort, wo das Taschenbuch den G-Punkt vermutete, war sie nun mal total kitzlig.
    Nicht nur die Suche nach dem G-Punkt gab er bald auf, auch den Iron Man schaffte Dille nie. Er brachte nicht mal einen Halbmarathon zustande. Irgendwie war nach dem Potsdamer Orientierungslauf in Sachen Ausdauersport die Luft raus, und Dille freute sich, dass er sich im Fitnessstudio nicht langfristig verpflichtet hatte. Seine nächsten Leidenschaften, die allesamt eine gewohnt kurze Halbwertszeit hatten, waren Modellflugzeugbau, eine philippinische Kampfsportart namens Kali und Saxophonspielen. Letzteres klang, als ob ein Elefant Asthma hätte.
    Dille blieb also Dille. Und Petra blieb Petra. Sie blieben, wer sie waren – und auf gewisse Weise doch nicht. Sie waren angeschlagen. Aber sie waren nicht besiegt.
    Ich wage zu orakeln, dass die beiden sich noch mit achtzig lieben und fetzen werden.
    * * *
    Und dann geschah die Sache mit Jegor, die uns allen einen Heidenschreck einjagte. Alles begann relativ harmlos. Mitten in Susanns Unterricht war Jegor, wie so oft, einfach aufgestanden. Anstatt aber wie sonst wortlos das Klassenzimmer zu verlassen und für unbestimmte Zeit zu verschwinden, war er quer durch die Klasse zum Tisch einer Mitschülerin gegangen. Er hatte sich vor sie gestellt und sie bloß angestarrt. Mit seinem kalten, undeutbaren Gesichtsausdruck. Das Mädchen – ein in der Klasse sehr populäres und üblicherweise eher großmäuliges Kind – war unverzüglich eingeschüchtert gewesen. Offenbar hatte Jegor sie schon des Öfteren bedrängt. In diesem Moment tat er aber nichts, außer sie anzuschauen. Das Mädchen geriet trotzdem in Panik, was nicht verwunderlich war, denn Jegor würde selbst altgediente Golfkriegsveteranen einschüchtern können. Er sah nämlich aus wie das seelenlose Killerkind aus dem Horrorklassiker Halloween – ein Milchgesicht mit kalten Augen. Natürlich

Weitere Kostenlose Bücher