Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
konnten?
Trotz allem vermisste Magdalena ihre Mutter und die Zwillinge so sehr, dass ihr das Herz wehtat. Vielleicht warendie Kleinen ja krank, und die Mutter konnte kein Auge zumachen, jetzt, da nicht nur ihr Mann, sondern auch ihre älteste Tochter verschwunden war. War es nicht Magdalenas Pflicht, zurückzukehren und ihr vom Schicksal des Vaters zu erzählen?
Ein spitzer Schrei brachte sie zurück in die Wirklichkeit. Simon hatte gerade den letzten Stich beim Nähen von Johannes’ Wunde gemacht und gab dem Bettler jetzt einen freundschaftlichen Klaps.
»Das wär’s«, sagte er und half ihm wieder auf die Beine. »Wie gesagt, keine Gaukeleien die nächsten Wochen. Und viel Wein, du musst wieder zu Kräften kommen.«
Trotz der Schmerzen zwinkerte Johannes dem Medicus zu. »Das nenn ich mal eine Arznei, die schmeckt. Gibt’s auch eine Krankheit, bei der Obstbrand hilft?«
Lächelnd packte Magdalena das Verbandszeug und die Salben zurück in den Lederbeutel. Mittlerweile konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen, dass sie vor den Bettlern einmal Angst gehabt hatte. Längst erschienen sie ihr wie eine große Familie.
Plötzlich fiel ihr der Brief ihres Vaters wieder ein, den ihr der Henkersjunge zugesteckt hatte. Bis jetzt war sie noch nicht dazu gekommen, ihn zu öffnen! Sie half Simon, die blutigen Lumpen vom Krankenbett zu räumen, dann zog sie sich in eine der ruhigeren Ecken des Gewölbes zurück und entfaltete mit zitternden Fingern das zerknitterte Pergament. Was wollte ihr der Vater mitteilen? Hatte er womöglich einen Weg gefunden zu fliehen?
Als ihre Augen über den geöffneten Brief huschten, stutzte sie. Auf dem verblichenen Zettel stand nur eine einzige Zeile.
Schöne Grüße von Weidenfeld …
Magdalenahielt das Pergament über eine Kerzenflamme. Es färbte sich langsam braun, aber auch jetzt war nicht mehr zu erkennen.
Schöne Grüße von Weidenfeld …
Wollte der Vater ihr etwas mitteilen, was andere nicht wissen durften? War die Zeile ein versteckter Hinweis, den nur sie erraten konnte?
Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Brief vor ihr nicht von ihrem Vater stammen konnte.
Es war die Schrift eines Fremden.
Aber der Junge hatte doch gesagt, der Brief käme von ihrem Vater! Irgendjemand log hier. Nachdenklich faltete Magdalena den Zettel wieder zusammen und steckte ihn in die Tasche ihrer Schürze.
»Was hast du?«
Simon war mittlerweile neben sie getreten und blickte sie verwundert an.
»Der Brief von meinem Vater …«, begann Magdalena zögernd. »Jemand anders hat ihn geschrieben.« Sie erzählte Simon von der mysteriösen Zeile.
»Und?«, fragte Simon. »Kennst du jemanden, der so heißt?«
Magdalena schüttelte den Kopf. »Leider nein.« Sie biss sich nachdenklich auf die Lippen. »Ich glaube, dieser Brief kommt von dem Mann, der meinem Vater das alles eingebrockt hat. Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass mehr dahintersteckt als nur ein Vergeltungsakt der Patrizier gegen die Freien.« Magdalena ließ sich auf das Stroh fallen und rieb sich die Schläfen. »Da will sich irgendeiner an meinem Vater rächen. Vielleicht jemand, dem er vor langer Zeit in die Suppe gespuckt hat und der jetzt keine Kosten und Mühen scheut, es ihm heimzuzahlen.«
»Hatdein Vater viele Feinde?«, fragte Simon zögerlich.
Magdalena lachte. »Feinde? Mein Vater ist der Henker. Der hat mehr Feinde, als der Kaiser Soldaten hat.«
Der Medicus hakte nach. »Also ist der Mörder möglicherweise ein Angehöriger von jemandem, den er einst hingerichtet hat?«
Magdalena zuckte mit den Schultern. »Oder jemand, dem er mal auf der Streckbank die Wahrheit herausgeprügelt hat. Den er ausgepeitscht, ein Ohr abgeschnitten, an den Pranger gestellt, aus der Stadt gewiesen hat … Vergiss es, so kommen wir nicht weiter.«
»Was für ein Pech, dass die Ruine des Baderhauses eingestürzt ist!«, schimpfte Simon. »Jetzt werden wir vermutlich nie herausfinden, was es mit der versteckten Alchimistenkammer auf sich hat.«
»Aber dieser Fremde, der uns auf den Fersen ist, findet’s auch nicht raus«, erwiderte Magdalena. »Und vergiss nicht, wir haben ihm vermutlich etwas voraus. Wir wissen, was dort unten war.«
»Und können uns auch keinen Reim darauf machen.«
Seufzend ließ sich Simon neben Magdalena ins Stroh sinken und schaute in den dämmrigen Saal. An dem klobigen Tisch in der Mitte saß Nathan mit einigen anderen Bettlern und nippte an einem Humpen Dünnbier. Der Bettlerkönig schien sie aus
Weitere Kostenlose Bücher