Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
verstummten. »Kann man denn in diesem Haus nicht einmal seine Ruhe haben!«
Er stand vom Tisch auf und stapfte hinüber in die Kammer, wobei er die Tür krachend hinter sich zuschlug. Endlich allein, beugte sich Teuber über eine Waschschüssel und klatschte sich das kalte Wasser ins Gesicht, ganz so, als könnte er damit auch seine Sorgen fortspülen. Er schüttelte sich wie ein Hund und ließ sich schließlich auf einen knarrenden Schemel in der Ecke der Kammer sinken. Die Hände vor der breiten Brust verschränkt, blickte der Henker auf das lange Richtschwert, das vor ihm an der Wand hing.
Es hatte einen ledernen Griff und eine fast schulterlange Klinge. Die Regensburger erzählten sich grausige Geschichten über das Schwert des Henkers. Marktweiber flüsterten, dass es vor jeder Hinrichtung drei Tage lang zittere und nur mit Blut besänftigt werden könne. Andere behaupteten, dass der Stahl klirre, wenn ein Todesurteil gesprochen wurde. Teuber wusste, dass dies alles Unsinn war. Es war ein gutes Schwert, vererbt über viele Generationen,geschmiedet von Menschenhand, um schnell und schmerzlos den Tod zu bringen; keine Zauberwaffe, sondern solide Handarbeit. Auf seiner Klinge war ein Spruch eingraviert, den der Regensburger Scharfrichter schon oft vor sich hin gemurmelt hatte.
Weich nicht von mir, o starker Gott.
Eigentlich galt diese Zeile den armen Sündern auf dem Schafott, doch zurzeit hatte Philipp Teuber das Gefühl, dass auch er damit gemeint war.
Nach einiger Zeit öffnete sich zaghaft die Tür, und seine Frau setzte sich neben ihm auf die Truhe. Von draußen war das Kichern und Lärmen der Kinder zu hören. Die Kleinen schienen sich schon wieder beruhigt zu haben.
»Magst ned reden?«, fragte Caroline Teuber nach einer Weile. Wieder herrschte Stille, in der nur das gedämpfte Lachen von draußen zu vernehmen war.
»Er ist wie ich«, murmelte ihr Mann schließlich. »Er hat eine Frau und ein paar Kinder, er macht seine Arbeit, er ist ein verdammt guter Scharfrichter, und er ist unschuldig.«
Caroline Teuber sah ihn skeptisch von der Seite an. Ihr einst zierliches Gesicht war mager und von Falten durchfurcht, das Blond ihrer langen Haare hatte sich an vielen Stellen in Grau verwandelt. Gemeinsam hatten die Teubers schon so manche schwere Stunde durchlebt. Die unzähligen schlaflosen Nächte vor den Hinrichtungen, die Schreie der Gefolterten, die Blicke der braven Bürger auf der Straße – all das hatte nicht nur den Regensburger Scharfrichter, sondern auch seine Frau fürs Leben gezeichnet.
»Woher willst du wissen, dass er unschuldig ist?«, fragte die Frau des Scharfrichters schließlich. »Sagt das nicht jeder dahergelaufene Eierdieb?«
PhilippTeuber schüttelte den Kopf. » Er ist es wirklich. Irgendjemand hat ihm eine Falle gestellt. Der dritte Fragherr …« Er zögerte kurz, bevor er weitersprach. »Der Sauhund besteht darauf, dass ich den Kuisl so fest peinige wie noch keinen vor ihm. Er weiß Sachen über ihn, die er eigentlich nicht wissen kann. Dieser Teufel will ihn umbringen, nicht weil der Kuisl gegen die Gesetze verstoßen hat, sondern wegen irgendeiner uralten Geschichte. Und ich bin sein Werkzeug.«
Seine Frau lächelte. »Bist du das nicht immer? Das Werkzeug?«
Teuber schlug sich auf die breiten Schenkel. »Verstehst du nicht? Diesmal ist es anders! Ich foltere einen Unschuldigen und helf jemand anders damit bei seiner Rache. Der wahre Mörder läuft draußen frei herum! Vielleicht müssen noch mehr Menschen sterben!«
Caroline Teuber seufzte. »Was willst du tun? Wenn du dich weigerst, ihn zu foltern, werden sie einen anderen Scharfrichter an deine Stelle setzen. Der Sohn vom Schinder wartet schon lang auf seine Gelegenheit. Und uns werden sie aus der Stadt treiben. Willst du das?«
Philipp Teuber schüttelte den Kopf. »Gott behüte, nein! Aber vielleicht gibt es ja noch eine andere Möglichkeit.«
Seine Frau sah ihn scharf an. »Was willst du damit sagen? Erklär dich!« Plötzlich schien sie zu begreifen, ihre Augen bildeten kleine, schmale Schlitze. »Du willst ihn doch nicht etwa …?«
Wortlos ging Teuber hinüber zu einem gewaltigen, mannshohen Apothekerschrank, der die Hälfte der hinteren Wand einnahm. Er öffnete ihn und zog aus einer verborgenen Schublade einen rostigen Schlüsselbund. Wie eine Monstranz hielt er ihn in die Höhe und klingelte leise damit.
»DieSchlüssel zu den Zellen im Rathaus«, sagte er leise. »Der alte Schultheiß Bartholomäus
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