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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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linken Arm runter, und dann machen wir weiter. Himmelherrgott, Teuber! Was ist denn los mit dir?«
    Der Regensburger Scharfrichter wischte sich den Schweiß von der Stirn, sein Blick ging ins Leere.
    »Verzeiht«, stammelte er. »Aber ich glaub, der Mann hat für heute wirklich genug.«
    »Noch einer, der glaubt, mitreden zu müssen!«, schimpfte der ältere Ratsherr. »Wo bin ich hier? Im Narrenhaus? Jetzt mach endlich, was man von dir verlangt, oder ich streich dir die zwei Gulden fürs heutige Torquieren!«
    Philipp Teuber löste die Fesseln, und Kuisls linker Arm fiel wie ein leerer Weinschlauch nach unten. Dann griff der Scharfrichter wieder zur Kurbel.
    »Mein Gott, gesteh doch!«, flüsterte Teuber Jakob Kuisl ins Ohr. »Gesteh, und es ist endlich vorbei!«
    »Zwillinge, herzallerliebst …«, murmelte Kuisl, der Ohnmacht nahe. »Lisl, meine Lisl, komm, ich sing dich in den Schlaf …«
    »Teuber, dreh jetzt endlich die verdammte Walze«, zischte der dritte Mann. »Oder muss ich rauskommen und es selber machen?«
    Mit schmalen Lippen fing der Regensburger Scharfrichter wieder zu kurbeln an. Neben ihm summte Jakob Kuisl das Kinderlied. Immer und immer wieder.
    DieMelodie begleitete Philipp Teuber noch die ganze kommende Nacht.
    Gemeinsam trugen Simon und die Bettler den Verrückten Johannes über schattige, unbelebte Gassen Richtung Neupfarrplatz. Magdalena ging die ganze Zeit voraus und achtete darauf, dass die seltsame Gemeinschaft nicht auf Stadtknechte stieß, die ihnen vielleicht ein paar unangenehme Fragen stellen wollten. Endlich zurück in den Katakomben betteten sie den Verletzten in die Krankennische.
    Wie der Medicus schon vermutet hatte, hatte der Stich nicht die Lunge erreicht. Zwar war die Klinge hinten wieder aus der Schulter ausgetreten, doch die Wunde war sauber, und Simon bestrich sie mit einer Paste aus Arnika und Kamille, nachdem er die Blutung zuvor mit Moos gestillt hatte.
    »Deinen verrückten Veitstanz musst du dir in nächster Zeit wohl verkneifen«, sagte er zu Johannes und drückte probeweise an den Rand des Einstichs, woraufhin der Bettler kurz aufjaulte. »Wie wär’s, wenn du dir das Geld in den kommenden Wochen auf ehrliche Art verdienst? Leg dich einfach neben den Dom und halt die Hand auf.«
    »Das macht aber nur halb so viel Spaß«, ächzte Johannes und versuchte trotz der Schmerzen zu grinsen.
    Magdalena reichte Simon derweil frisches Wasser, Tücher und Verbandszeug. Aus dem Augenwinkel musterte die Henkerstochter die zerlumpte Menge, die sich vor der mit einem fleckigen Vorhang abgetrennten Nische drängte. Einige der Bettler hatte sie mittlerweile näher kennengelernt. Es waren Krüppel und Kranke darunter, entlassene Landsknechte, gestrandete Pilger, verstoßene Frauen, Dirnen und Findelkinder. Eine bunte Mischung von Ausgestoßenen,so wie Magdalena selbst eine war. Ihr Blick glitt über diese Menschen, und sie fühlte sich auf merkwürdige Weise mit ihnen allen verbunden.
    Ich gehöre zu ihnen , dachte sie. Eine Stadt unter der Stadt, und ich bin ein Teil von ihr.
    Simon war gestern Abend mit ihr durch die verwinkelten unterirdischen Gänge der Katakomben gewandert. Fast vierzig Keller hatten sie gezählt, fast alle waren sie durch Tunnel miteinander verbunden. Viele von ihnen waren leer, aber in einigen hatten die Bettler Lebensmittel und Möbel gelagert. Muffige Decken, Truhen und sogar ein wenig Kinderspielzeug ließen Magdalena vermuten, dass ganze Familien diese feuchten, dunklen Gewölbe ihr Zuhause nannten. Unter einigen Kellern befanden sich weitere Kammern, die über Treppen oder enge, schlauchartige Gänge zu erreichen waren. Hier stießen sie auf lateinische Inschriften, in einer Nische stand sogar eine kleine heidnische Bronzestatue. Es hatte den Anschein, als ob sich unter dem jüdischen Viertel die Überreste eines noch älteren römischen Lagers befanden.
    Hier, tief im Bauch der Stadt, weit weg von den Bettlern, waren sie zum ersten Mal seit langem wieder für sich gewesen. Im Licht einer tranigen Laterne hatten sie sich geliebt und sich danach flüsternd geschworen, nicht aufzugeben. Magdalena glaubte noch immer, dass sie gemeinsam ihren Vater retten konnten. Was danach kam, daran wollte sie im Augenblick nicht denken. Ob sie mit Simon nach Schongau zurückkehren sollte? Dorthin, wo sie Spott und Schande erwarteten, wo ein Ratsherr Berchtholdt und seine Spießgesellen ihnen das Leben zur Hölle machen würden? Wo sie niemals zusammen sein

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