Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
daher ein Zeichen, und sie blieben zunächst unbeweglich und schweigend neben dem Altar stehen.
Schon nach kurzer Zeit hörten sie aus dem südlichen Seitenschiff ein Geräusch. Ein leises Quietschen nur, so als wenn Eisen über Eisen schabte. Der Moment verging, und nur wenig später ertönte das Schleifen von Lederschuhen, das sich immer mehr entfernte. Im Westen, dort, wo sich das Hauptportal befand, erschien ein schmaler Spalt, der nicht ganz so dunkel war wie die Schwärze im Innern des Doms.
»Verdammt!«, flüsterte Simon. »Er haut durch den Haupteingang ab! Offenbar hat er dafür auch einen Schlüssel gehabt. Jetzt können wir nur noch beten, dass Nathan ihm gefolgt ist.«
»Sollen wir ihm nicht hinterher?«, fragte Magdalena.
Simon zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, das ist aussichtslos. Wenn wir vorne durchs Portal gehen, kann er uns vom Domplatz aus sehen, oder er ist ohnehin schon verschwunden. So ein Mist!«
Er trat zornig mit dem Fuß auf. Das Geräusch hallte wie ein ferner Donnerhall durch das Gewölbe, so dass der Medicus erschrocken innehielt.
»Wirkönnen ja wenigstens versuchen rauszufinden, was er hier drin zu suchen hatte«, tröstete ihn Magdalena. »Komm, wir sehen mal nach.«
Sie eilten hinüber ins südliche Seitenschiff, von woher das Quietschen gekommen war. Simon hatte sich eine brennende Opferkerze von einem der Seitenaltäre genommen und leuchtete nun damit den Boden ab.
»Sieh her!«, zischte er nach einer Weile und deutete auf Spuren von feuchter Erde. »Hier muss Mämminger gestanden haben. Man sieht noch die Abdrücke!« Er sah sich ratlos um. »Aber was, um Himmels willen, hat er hier nur gewollt?«
Sein Blick glitt über eine Nische, in der ein kleiner Altar mit einem Triptychon stand. Der Schrein schien dem heiligen Sebastian gewidmet zu sein, das mittlere Bild zeigte den Märtyrer, wie er durchlöchert von Pfeilen an einen Baum gefesselt war. Auf dem Altar stand eine kleine vergoldete Silberstatuette, die in der einen Hand einen Beutel und in der anderen einen Pfeil hielt.
Simon brauchte einige Zeit, bis er erkannte, was an der Figur merkwürdig war.
Während alle anderen Proportionen stimmten, war der Pfeil viel zu lang und zu dick. Er erinnerte eher an einen Speer oder an ein silbernes Rohr. Simon beugte sich mit der Kerze über den Pfeil und bemerkte nun, dass er offenbar lose in der Hand der Statue steckte. Im oberen Drittel befand sich eine Rille, so als würde der Stab aus zwei Teilen bestehen, die miteinander verschraubt waren.
Verschraubt?
Simon drehte sich zu Magdalena um.
»Das Quietschen!«, rief er. »Ich glaub, ich weiß jetzt, was …«
Plötzlich erschien vorne am Haupteingang wieder der schmaleStreifen Dämmerlicht. Kurz darauf hörten sie, wie das Portal sich leise schloss. Magdalena zog Simon weg vom Altar hinter eine der Säulen.
»Schaut so aus, als würde Mämminger zurückkommen«, flüsterte sie aufgeregt. »Ob er was vergessen hat?«
Simon schüttelte den Kopf. »Ich glaub eher, es kommt der Mann, der die Nachricht abholt.«
»Die Nachricht?«, fragte Magdalena. »Welche …?«
Simon hob den Finger an die Lippen und bedeutete ihr zu schweigen. Er zeigte auf eine Gestalt, die durch das Mittelschiff schlich und sich nun der Nische näherte. Als der Unbekannte am Altar angekommen war, hielt sich Magdalena die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Es war der Fremde, der versucht hatte, sie umzubringen! Noch immer trug er das tödliche Rapier an seiner Seite. Die Kapuze hatte er nun zum ersten Mal abgenommen, so dass die Henkerstochter sein Gesicht sehen konnte. Es war schmal, fast frettchenhaft, mit kleinen flinken Augen unter Brauen, die wie dünne Striche wirkten. Wie ein großer Ballon thronte sein Haupt auf einem viel zu kleinen Körper, betont wurde die ungewöhnliche Größe des Kopfes noch dadurch, dass der Mann eine Glatze hatte. Er war unauffällig gekleidet, mit Kniehosen, Lederstiefeln und einem kurzen Mantel über dem mausgrauen Rock. Gerade blickte er sich nach allen Seiten um; dabei streifte sein Blick auch die Säule, hinter der Magdalena und Simon kauerten. Die Henkerstochter zog sich blitzschnell zurück, in der Hoffnung, dass der Mann sie noch nicht gesehen hatte.
Plötzlich war wieder das Quietschen zu hören. Als Magdalena erneut hinter der Säule hervorlugte, sah sie, wie der Fremde den Pfeil der Silberstatuette in den Händen hielt. Er schraubte ihn auf und entnahm der Röhre eindünn
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