Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Halbschlaf dahin, bis er von den Schmerzen schließlich erwachte. Wie so oft in den letzten Tagen und Nächten brauchte er eine gewisse Zeit, um sich zu orientieren. Der Dunkelheit nach zu urteilen, war es bereits Nacht. Ächzend schob Kuisl sich an der Wand hoch, bis er in einer halbwegs erträglichen Position auf dem Boden kauerte.
Plötzlich war ein leises schabendes Geräusch zu hören. Er brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass es sich um den Riegel der Kerkertür handelte, den jemand langsam zur Seite schob. Die Tür schwang lautlos auf, und eine dunkle Gestalt stand in der Öffnung.
»Holt ihr mich schon wieder ab, Saubande?«, krächzte der Schongauer Henker. »Ist doch noch nicht mal die Sonne aufgegangen. Anständige Menschen schlafen um die Zeit. Seid’s so gut und kommt’s in einer Stunde wieder.«
»Beeil dich, du Schafskopf!«, zischte der Schemen in der Tür. Erst jetzt merkte Kuisl, dass es keiner der Büttel, sondern Philipp Teuber war. »Wir haben nicht viel Zeit!«
»Was in aller Welt …« Jakob Kuisl richtete sich langsam auf, doch als er endlich aufrecht stand, brach er wie ein Sack Getreide zusammen. Die Schmerzen pumpten wieder durch seine angeschwollenen Beine, er hatte Fieber, trotz der kühlen nächtlichen Temperaturen war er am ganzen Körper schweißnass.
Teuber fluchte leise und bückte sich hinunter zu dem Verletzten. Aus einem Beutel kramte er eine lange Zange hervor und durchtrennte mit einer einzigen kraftvollen Bewegung die rostige Kette.
»Haltjetzt still!«
Ächzend zog er den Schongauer Henker hoch, legte den rechten, noch nicht ausgekugelten Arm um seine eigene Schulter, packte Kuisl am Brustkorb und schleppte den schweren Körper so hinaus auf den Gang.
»Was … was hast du vor?«, murmelte Jakob Kuisl, geschüttelt von Fieberkrämpfen. »Wo sind die … gottverdammten Wachen?« Er zuckte zusammen, als eine neue Welle des Schmerzes durch seinen Körper rollte.
»Hab sie für kurze Zeit ins Traumland geschickt«, flüsterte Philipp Teuber. »Hat mich zwei Tage gekostet, den Mohntrunk herzustellen. Aber dafür schmeckst du ihn jetzt auch nicht mehr aus dem Wein heraus. Vor allem dann nicht, wenn der feine Tropfen von einem Unbekannten gleich literweise spendiert wird.« Er grinste, während er Kuisl weiter Richtung Vorhalle schleppte. »Und falls du den Büttel vom Gang suchst – der scheißt und kotzt sich gerade die Seele aus dem Leib. Für was die gute, alte Christrose doch alles gut ist. Na ja, er wird’s überleben.«
Sie befanden sich mittlerweile in dem niedrigen Gewölbe, wo eine Gruppe von fünf Soldaten schnarchend neben zwei leeren Krügen Wein schlummerte. Die wenigen Fackeln an den Wänden flackerten schwach, so dass der Raum in fast vollkommene Dunkelheit getaucht war. Nur schemenhaft zeichneten sich an der Seite einige Kanonen und Kutschen ab.
»Warum … machst du … das?«, stammelte Jakob Kuisl und hielt sich am Regensburger Scharfrichter fest, der trotz seiner gewaltigen Oberarme Mühe hatte, den Verletzten zu stützen. »Sie werden dich … lebendig häuten, wenn sie das rauskriegen.«
»Wenn sie’s rauskriegen.« Teuber zog unter seinem Rockeinen großen Schlüsselbund hervor und öffnete das Portal, das hinaus auf den Rathausplatz führte. Er deutete auf die schnarchenden Wachen hinter ihnen. »Ich hab den Schlafmohn so dosiert, dass es auch eine anständige Sauferei hätte sein können. Die Wache vom Gang hat das Leibgrimmen bekommen, und irgendeiner der vernagelten Büttel muss wohl im Suff die Tür zu deiner Zelle nicht richtig verschlossen haben. Ich hab damit nichts zu tun.« Er lächelte kalt, während er den fast besinnungslosen Kuisl zu einem Karren bugsierte, der neben dem Rathaus stand. Trotzdem glaubte der Schongauer Henker ein leichtes Zittern in der Stimme seines Kollegen zu hören.
»Falls doch einer einen Verdacht haben sollte, dann können sie mich ja gern auf die Streckbank spannen«, sagte er leise. »Müssen sich die ach so feinen Patrizier halt mal selbst die Finger schmutzig machen.«
Jakob Kuisl lag mittlerweile auf dem Karren, der nach Verwesung und menschlichen Exkrementen roch. Philipp Teuber verteilte ein paar alte Lumpen und eine Ladung feuchtes Stroh über dem Schongauer Henker, dann setzte er sich vorne auf den Kutschbock und schnalzte mit der Zunge. Eine alte graue Mähre setzte sich in Bewegung und zog den Karren in eine der Nebengassen.
»Ich hoff, der Gestank bringt dich nicht noch vor deinen
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