Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
ihr Blick auf Jakob Kuisl, der sich zwischen den Lumpen und Misthaufen ein wenig aufgerichtet hatte. Jetzt erst sah er, dass die Unbekannte eine Augenklappe trug. Ihr gesundes Auge blinzelte ihn misstrauisch an.
»Ein stinkender Haufen Mannsbild, den du mir da bringst«, sagte sie, jetzt so laut, dass Kuisl sie verstehen konnte. Ihre Stimme hatte etwas Schneidendes, Befehlsgewohntes. »Nicht viel wertvoller als die Kadaver neben ihm auf dem Karren. Du weißt, wenn mich die Büttel mit diesem Monstrum erwischen, setzen sie mir die Schandgeigeauf und prügeln mich aus der Stadt. Allerdings nur, wenn ich Glück habe. Wenn ich Pech habe …« Sie seufzte. »Aber um der lieben Jungfrau willen und weil du’s bist, Teuber. Bring den armen Burschen rein. Pass bloß auf, dass meine Gäste nichts davon mitkriegen.«
»Kann … selber laufen«, brummte Jakob Kuisl. »Geht … schon.«
Er rutschte vom Karren und taumelte auf den Eingang zu. Es war Kuisl noch nie recht gewesen, wenn ihn Frauen in einem schwachen Moment ertappten. Und dieses Weibsbild schien für Jammerlappen nicht viel übrig zu haben.
Als er in der Tür stand, musterte ihn die Frau abschätzig von unten. Kuisl überragte sie um fast drei Köpfe.
»Das also soll der Teufel von Regensburg sein?«, sagte sie. »Wenn du mich fragst, ist das ein geschundener Tanzbär, dem sie die Krallen gezogen haben. Wie groß bist du, hä? Sechs Fuß?« Sie lachte abfällig. »Pass auf, dass du dir in meinem bescheidenen Heim nicht den Schädel anschlägst. Schaust aus, als würd dich zurzeit schon ein Dirnenfurz umwerfen.«
»Er war’s nicht, Dorothea«, erwiderte Teuber. »Ich hab ihn foltern müssen, bis ihm das Blut aus den Ohren kam. Ich schwör bei Gott, dass er’s nicht war.«
»Den lieben Herrgott lass aus dem Spiel.« Die Frau, die offenbar Dorothea hieß, hatte sich bereits abgewandt und war ins Innere des Hauses gegangen. »Sonst schlägt im Turm noch der Blitz ein.«
Sie betraten einen niedrigen dunklen Vorraum, der durch eine einzige Fackel erhellt wurde. Eine gewundene Treppe führte in den Keller und in die oberen Stockwerke. Von dort konnte Kuisl Gelächter und Stimmen hören; ab und zu ertönte ein spitzer Schrei, gefolgt von einem tiefen, männlichen Stöhnen.
»Dusiehst, meine werten Gäste amüsieren sich diese Nacht mal wieder prächtig«, sagte Dorothea zum Regensburger Scharfrichter, während sie gemeinsam die steinerne Wendeltreppe nach unten gingen. »Ich würde sie nur ungern stören. Vor allem, weil sich unter ihnen ein paar Ratsleute befinden, die von unserem bärbeißigen Doppelmörder wirklich nichts erfahren müssen. Ich habe unten im Vorratskeller ein hübsches Versteck, da kann er erst mal bleiben.«
»Ist gut, Dorothea«, erwiderte Philipp Teuber. »Wir werden dich nicht weiter belästigen, versprochen.«
Nach ein paar weiteren Stufen hatten sie den Boden des Kellers erreicht. Einige Säcke und Kisten standen hier herum, außerdem mehrere mannshohe Weinfässer. Dorothea ging mit schnellen Schritten auf ein Fass in der Mitte zu.
»Schieb das hier weg, Teuber«, sagte sie. »Oder schaffst du das nicht mehr? Siehst ein wenig verhärmt aus. Lässt dich deine Frau nicht mehr ran?«
Schweigend umfasste der Scharfrichter mit beiden Armen das Weinfass und schob es schnaufend ein wenig nach links. Dahinter war ein niedriger Eingang zu erkennen, der in einen weiteren, muffig riechenden Vorratsraum führte. Er war nicht viel größer und höher als die Zelle, in der Jakob Kuisl die letzten Tage verbracht hatte.
»Hier kann er erst mal bleiben«, sagte Dorothea. »Und jetzt entschuldigt mich. Ich habe oben einen engen Vertrauten des Bischofs. Ich lass die Kirche nur ungern warten.«
Sie zwinkerte kurz mit ihrem gesunden Auge, dann entfernte sie sich ohne einen weiteren Gruß und ließ Jakob Kuisl und den Regensburger Scharfrichter alleine im Vorratskeller zurück. Als ihre Schritte verklungen waren, brachKuisl endgültig zusammen. Er rutschte an der Wand hinunter und rollte sich zusammen wie ein krankes Tier.
»Kann … man … ihr … trauen?«, murmelte er schlaftrunken.
»Dorothea?« Teuber nickte. »Die Dicke Thea ist die Kupplerin vom Dirnenhaus hier im Peterstor. Eigentlich sind solche Häuser ja verboten, aber das Fleisch ist halt schwach. Auch das der honorigen Ratsherren …« Er grinste, während er eine weitere Fackel entzündete und einige mitgebrachte Wolldecken in der winzigen Kammer verteilte. »Die Patrizier wissen
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