Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
vielleicht, aber dafür wird der Kopf schnell klar.«
Er gab Simon einen Stoß, und gemeinsam gingen sie Richtung Rathausplatz, wobei der Medicus darauf achtete, angemessen zu torkeln. Schon nach kurzer Zeit waren sie auf dem großen Platz angelangt, der jetzt in den frühen Morgenstunden ganz anders aussah als tagsüber, wenn hier das bunte Leben herrschte.
Der dickere der beiden Stadtknechte deutete mit seinem Spieß auf einen rostigen Käfig, der auf Bodenhöhe an der Wand des Rathauses befestigt war. Er sah aus wie ein gigantischer Vogelbauer.
»Das Narrenhäuschen«, brummte der Nachtwächter. »Dort bleibst du erst mal die nächsten paar Stunden. Hast auch schon feine Gesellschaft.«
»Aber da kann mich ja jeder sehen!«, krächzte Simon, der kurzzeitig seine Rolle als Betrunkener vergaß.
Der lange, dünne Nachtwächter mit der Laterne nickte. »Sehr richtig. Die Leut sollen schließlich auch was zum Gaffen haben. Ins Narrenhäuschen kommen alle, die wir in der Nacht aufsammeln. Säufer, Herumtreiber, aber auch honorige Bürger und Pfaffen. Sogar einen Ratsherren haben wir dort mal einquartiert, weil der edle Herr kein Geld zum Auslösen hatte. Ach, und versuch ja nicht, dich in eine Ecke zu drücken. Sonst ketten wir dich vorne ans Gitter an, und du kannst dich vor faulem Gemüse nicht mehr retten.«
Simons Herz begann zu rasen.
In der Früh sieht mich da drin ganz Regensburg, und wenn auch nur einer genauer hinschaut, kann ich als Brandstifter dem Kuisl auf dem Schafott Gesellschaft leisten!
»Können wir uns nicht, nun … anders einigen?«, fragte Simon und versuchte ein schiefes Lächeln.
Der dicke Nachtwächter wog bedächtig den Kopf. »Hast du Geld?«
Der Medicus schüttelte stumm den Kopf.
»Dann hab ich eine gute Nachricht für dich«, knurrte der Büttel. »Kost und Logis sind im Narrenhäuschen nämlich umsonst.«
Er drückte Simon die Spitze seines Spießes in den Rücken und schob ihn auf das Rathaus zu.
10
Regensburg, am frühen Morgen
des 24 . August anno domini 1662
S imon knöpfte seinen zerlöcherten Rock bis oben hin zu, um sich gegen die nächtliche Kühle zu schützen, die jetzt im Morgengrauen am ärgsten war. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder, aber der Anblick um ihn herum war immer noch genauso trostlos wie vorher.
Neben ihm schnarchten drei Zechbrüder so laut, als wollten sie die Gitterstäbe ihres zugigen Kerkers zersägen. Zwei von ihnen waren vermutlich wandernde Handwerksgesellen, die sich weit über ihre Verhältnisse in den Wirtshäusern der Stadt herumgetrieben hatten. Sie trugen zerlumpte Hosen und Leinenhemden; ihre Hüte hatten sie wohl in der letzten Gaststube liegengelassen, die am Gürtel befestigten Geldkatzen hingen schlaff herunter. Simon vermutete, dass die beiden Tagelöhner schon in den kommenden Morgenstunden aus der Stadt verbannt würden. Vielleicht gab es noch ein paar Hiebe mit der Rute, das war alles. Für die Menge, die sich schon sehr bald unten auf dem Rathausplatz zusammenfinden würde, stellten die fahrenden Handwerksgesellen nichts Besonderes dar. Solche Säufer fingen die Stadtknechte jede Nacht ein.
Anders verhielt es sich mit dem dritten Zecher. Er war dem Anschein nach ein Franziskanermönch, dessen braune Kutte sich um einen bemerkenswert dicken Bauch spannte.Auf der frisch geschabten Tonsur und den speckig rosa leuchtenden Wangen krabbelten unzählige Schmeißfliegen, die sich von dem Schweiß nährten, der dem Minoriten trotz der Kälte in kleinen Bächen übers Gesicht floss. Zwischen seinen schwabbligen Händen hielt er einen schmutzigen Leinensack, den er gelegentlich wie einen Säugling an sich presste, wobei er im Schlaf etwas Unverständliches murmelte. Jedes Mal, wenn er zu einem neuen Schnarcher ansetzte, erzitterte der gesamte Leib wie in Todeszuckungen. Manchmal setzte das Atmen ganz aus, nur um dann nach einer Minute umso heftiger wieder einzusetzen.
Von seinen drei Zellenmitbewohnern hasste Simon den fetten Mönch am meisten.
Der Medicus hatte ein weiteres Mal versucht, die Wachen zu überreden, ihn nicht in das sogenannte Narrenhäuschen zu stecken. Doch diese hatten nur gelacht und ihm eine angenehme Nachtruhe gewünscht. Jetzt saß er auf der harten Holzbank, eingezwängt zwischen den beiden schnarchenden Handwerkern, und beobachtete, wie auf dem Rathausplatz langsam die Nacht zurückwich. Gelegentlich fiel einem der Saufkumpane der Kopf auf Simons Schulter, wo er dann friedlich vor sich hin
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