Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
schmatzte. Simon vermutete, dass er von dem teuren Gänsebraten träumte, den er letzte Nacht verzehrt hatte – wahrscheinlich der letzte für lange Zeit. Der Medicus brachte es nicht übers Herz, den Gesellen zu wecken, und schob stattdessen den Kopf des Handwerkers nur vorsichtig wieder in die andere Richtung.
Noch einmal schloss Simon die Augen und versuchte nachzudenken, was angesichts des lauten Schnarchens um ihn herum nicht ganz einfach war. In spätestens einer Stunde würden die ersten Regensburger ihre Läden öffnen,die Mägde würden über den Markt schlendern, und jeder vorüberlaufende Passant würde einen Blick ins Narrenhäuschen werfen. Von da an, da war sich Simon sicher, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihn irgendjemand als den gesuchten Brandstifter erkannte. Die Beschreibung von ihm und Magdalena war ziemlich genau gewesen, und die Wachen verfügten sicherlich über einen Steckbrief. Simon hatte schon überlegt, sich mit seinem Stilett in den Finger zu stechen und sein Gesicht mit Blut einzureiben. Vermutlich könnte er so als erbärmliches Opfer einer Kneipenschlägerei durchgehen. Aber seine Größe und seine Kleidung konnte er nicht verändern, allein daran würde man ihn vermutlich erkennen.
Es sei denn, er hätte etwas, um sich zu verkleiden.
Simons Blick glitt über die zwei Gesellen und den fetten Franziskaner, der den Leinensack noch immer wie ein Stoffpüppchen an sich gepresst hielt.
Der Leinensack!
Simons Herz schlug schneller. Daraus ließ sich mit Sicherheit so etwas wie eine Haube machen, und, wer weiß – vielleicht befanden sich darin ja sogar Kleidungsstücke! Lautlos stand der Medicus auf und ging einen Schritt auf den Mönch zu, der ihm gegenüber wie ein Toter auf der Bank lag. Zentimeter für Zentimeter näherte sich Simons Hand dem Sack, den der Franziskaner an sich gedrückt hatte. Simon nestelte daran und spürte, wie das Bündel sich löste. Schon hatte er den Sack zu mehr als der Hälfte unter den Armen hervorgezogen.
Ein Knurren wie von einem Bären ertönte.
Simon erstarrte, als er sah, wie sich das rechte blutunterlaufene Auge des Mönchs langsam öffnete und ihn argwöhnisch musterte.
»Willstmir den Wein wegsaufen, verdammter Hurenbock?«, murmelte der Geistliche. »Das ist Messwein. Das Blut Christi. Dafür sieden sie dich in Öl, du verfluchter Ketzer …«
Das Auge fiel wieder zu, und ein weiteres Schnarchen ertönte. Simon atmete aus, wartete eine Weile und griff dann ein zweites Mal beherzt zu.
Diesmal schlossen sich die Finger des Mönchs wie Schraubstöcke um Simons Handgelenk und zogen ihn ganz nah zu sich heran. Der Weindunst ließ den Medicus fast ohnmächtig werden.
»Keiner bestiehlt Pater Hubertus«, knurrte der Pfaffe. »Keiner, hörst du?«
Wie eine gigantische fette Fledermaus erhob sich der Franziskaner, wobei er mit dem Kopf an der niedrigen Decke anstieß.
»Autsch, verflucht!«
Erst jetzt schien der Mönch zu begreifen, wo er war. Er blickte auf seine Zellengenossen und dann nach draußen auf den Rathausplatz, schließlich setzte er zu einem nicht enden wollenden Fluch an.
»In drei Teufels Namen, verfluchte Drecksbande von vernagelten, schafsköpfigen Bütteln! Haben mich doch tatsächlich wieder eingesperrt, diese nichtsnutzigen Spießbürger!« Er rüttelte an den Gitterstäben, so dass Simon kurz glaubte, er könnte sie tatsächlich auseinanderbrechen. »Und das, wo ich doch nur versucht habe, verirrte Jungfrauen auf den rechten Weg zurückzuführen!«, fluchte der Mönch weiter.
»Jungfrauen?« Obwohl er Angst hatte, konnte sich Simon die Frage nicht verkneifen.
Der Franziskaner, der offenbar Pater Hubertus hieß, sah ihn irritiert von oben herab an, als nähme er den Medicuserst jetzt wahr. Anscheinend hatte er den versuchten Diebstahl schon wieder vergessen.
»Ja, Jungfrauen!«, brummte er. »Treiben sich im Dirnenhaus unten am Peterstor herum und warten darauf, dass ihnen jemand das Evangelium einbläut.«
Simon nickte verständnisvoll. »Und das habt Ihr übernommen.«
Ein Grinsen zog sich plötzlich über das Gesicht des Paters. »Wie heißt es schon bei Augustinus?« Er hob an in einem dozierenden Tonfall, wobei er offenbar noch ein wenig Mühe mit seiner Zunge hatte. »›Schaffe die Dirnen ab, und du wirst eine einzige Verwirrung durch die ungezügelten Genusssüchte schaffen.‹« Hubertus hob belehrend den Finger. »Wir können die Hübschlerinnen also nicht verhindern, aber wir können sie immerhin
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