Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
hatte sich schlicht geweigert, weiterzumachen. Nur, was hatte es ihm gebracht? Jetzt lag Hofmann mit aufgeschnittener Kehle auf dem Jakobsfriedhof, ein stinkender Madensack, genauso wie seine Frau, das freche kleine Biest. Gut möglich, dass sie ihrem Mann den Floh ins Ohr gesetzt hatte, dass man einfach aufhören sollte.
Aber sie ließen einen nicht aufhören.
Josef Haberger hatte nach dem Tod der Hofmanns einen Fehler gemacht, den er mittlerweile mehr bereute als alles andere in seinem Leben. In seiner Verzweiflung hatte er mit dem Finger auf die anderen gezeigt, er hatte sie des Mordes beschuldigt. Schweigend hatten sie ihm gegenübergesessen, sein Vorwurf war an ihnen abgeprallt wie an einer Felswand. Im gleichen Moment hatte er gespürt, dass er eine verbotene Schwelle überschritten hatte. Ihre Überzeugungenwaren in Stein gemeißelt, sie würden den Plan bis zum bitteren Ende verfolgen.
Mit oder ohne ihn.
Schnell war ihm bewusst geworden, dass er mit seinen unbedachten Äußerungen zu einem gefährlichen Mitwisser geworden war. Seitdem sah er hinter jeder Ecke einen Meuchelmörder, hörte er hinter jeder Tür das Klicken einer Armbrust; ja selbst unter seinem Bett oder auf dem Abort konnte der Tod auf ihn warten. Andererseits, sie brauchten ihn doch! Sie konnten schließlich nicht auf ihn verzichten, oder? Auf ihn, den größten Bäckermeister der Stadt, den Lieferanten von Rathaus, Reichstag und den wichtigsten Patriziern.
Im Nachhinein kam Haberger das ganze Vorhaben wie ein gewaltiger, himmelschreiender Frevel vor. Ein teuflisches Verbrechen, so monströs, dass jeder von ihnen für immer dafür in der Hölle schmoren würde. Josef Haberger hatte daran gedacht, die anderen zu verraten. Aber die Angst vor der Rache war zu groß. Und außerdem – was würde mit ihm geschehen, wenn alles ans Licht käme? Er hatte davon gehört, dass man Verräter erst hängte, dann ausweidete und schließlich vierteilte. Drohte ihm das gleiche Schicksal?
In seiner Angst hatte er gar nicht bemerkt, dass das Summen von Marie Deisch plötzlich aufgehört hatte. Auch die Finger waren mit einem Mal verschwunden. Haberger wollte sich schon erstaunt aufrichten, als er erneut Hände auf seinem Rücken spürte. Der Bäckermeister atmete erleichtert auf. Vermutlich hatte die Baderin nur ein wenig neues Olivenöl zum Einmassieren besorgt und war nun bereit für das rechte Schulterblatt. Josef Haberger schloss erneut die Augen und versuchte, die bösen Gedanken zu verdrängen und sich ganz auf die kommende Massage zu konzentrieren.
DieHände wanderten seinen Rücken empor, bis sie wieder an den Schulterblättern angelangt waren. Kurz hatte Haberger das Gefühl, dass sie jetzt irgendwie kräftiger waren als vorher, es fehlte ihnen das Grazile, Weibliche, dafür packten sie umso stärker zu.
Viel stärker.
Sie schienen die Muskeln des Bäckermeisters förmlich zerquetschen zu wollen.
»Hab Dank, Marie«, ächzte Josef Haberger. »Aber ich glaub, es reicht jetzt. Ich spür schon gar nichts mehr in den Schultern.«
Doch die Hände hörten nicht auf, im Gegenteil, sie wanderten weiter hoch, bis sie schließlich Habergers Hals erreicht hatten.
»Was zum Teufel …?«
Josef Haberger versuchte sich aufzurichten, doch muskulöse Arme drückten ihn unerbittlich zurück auf die Bank. Als er aufschreien wollte, spürte er, dass sich Finger um seinen Hals schlossen und ihm das Leben Stück für Stück aus dem Leib quetschten.
Der Bäckermeister zuckte und zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen, er versuchte, zur Seite zu rutschen, doch die starken Arme pressten ihn wie ein Stück rohes Fleisch auf das Holz. Sein Gesicht schwoll zunächst rot und dann bläulich an, die Zunge schob sich wie eine fette Schnecke aus seinem Mund. Schließlich sackte sein Körper mit einem letzten Schnaufen zusammen.
Kurz bevor seine Augen brachen, erblickte Josef Haberger genau vor seiner Nase einen Arm, an dem kräftige Sehnen hervortraten. Wie unter einer Linse sah der Bäckermeister Unmengen von Haaren, die sich dort gleich einem dichten Gestrüpp kräuselten. Er roch herben, männlichen Schweiß.
Merkwürdig, ich habe gar keine Schmerzen mehr , dachte Haberger.
Dann fiel er in einen schwarzen Tunnel, an dessen Ende ein überirdisches Licht leuchtete.
Noch ganz erfüllt von den anregenden Gesprächen mit Pater Hubertus verließ Simon gegen Mittag den Bischofshof, in der Rocktasche die mit Bierflecken besudelte Einladung des bischöflichen
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