Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
greifbare Dunkelheit gehüllt, die nur von der kleinen Laterne am Boden ein wenig gemildert wurde. Im flackernden Licht wirkte das sonst so teilnahmsvolle Gesicht Gessners plötzlich sehr bedrohlich.
»Du wirst dieses kleine Geheimnis doch für dich behalten, oder?«, flüsterte der Floßmeister. »Eine Hand wäscht die andere, nicht wahr? Ich habe dir von den Plänen der Patrizier erzählt, und du plauderst nicht über diesen Raum. Mit niemandem, verstehst du?«
Simon nickte beflissen. Trotz seiner Angst konnte er es nicht vermeiden, sich neugierig umzusehen. Als Gessner seinen Blick bemerkte, griff er in eine der Kisten und holte ein paar der braunen Blätter hervor. Er zerkrümelte sie zwischen seinen Fingern und ließ Simon daran riechen.
»Köstlicher westindischer Tabak«, sagte der Floßmeister und setzte sich auf eine größere Holztruhe. Mit einer ungeduldigen Geste bedeutete er Simon, das Gleiche zu tun. »Es gibt zurzeit keine bessere Schmuggelware. Die Zöllesind so hoch wie noch nie, und damit auch mein Gewinn.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Als Regensburger Floßmeister muss man sehen, wo man bleibt. Die Steuern fressen einen auf, die Holzdiebe stehlen einem noch den Donnerbalken unter dem Arsch weg, und erst vor zwei Jahren hat mir das vermaledeite Hochwasser das ganze Haus weggespült. Das neue hab ich mir dann ganz nach meinen Vorstellungen bauen lassen.« Er zwinkerte und deutete auf die hölzerne Zwischenwand.
Plötzlich ertönte ein Knarren, und die Regaltür öffnete sich einen Spaltbreit. Im blendenden Sonnenlicht konnte Simon den Schemen einer großen Gestalt erkennen.
»Ist alles in Ordnung da drin?«, knurrte eine tiefe Stimme.
Gessner hob beruhigend die Hand. »Wir haben Besuch, Dicker. Aber keine Sorge, ich regele das schon. Du kannst wieder gehen.«
»Sicher?«, brummte der andere.
Der Floßmeister nickte ungeduldig. »Sicher.«
Mit einem leisen Quietschen schloss sich die Tür. Gessner griff in eine weitere Kiste und zog eine Flasche Branntwein hervor, die er mit den Zähnen entkorkte. Er nahm einen tiefen Schluck und bot Simon davon an, dessen Kater sich sofort wieder bemerkbar machte.
»Heute nicht«, murmelte der Medicus. »Mein Kopf … er ist ein wenig schwer.«
Der Floßmeister zuckte mit den Schultern und nahm einen weiteren Schluck.
»Auch Schmuggelware«, murmelte er und leckte sich die Lippen. »Aber Tabak ist besser. Lässt sich leichter verstauen und bringt mehr.«
Er sah den Medicus misstrauisch von der Seite her an. »Weißt du eigentlich, was für ein großes Glück du hast? Hättich dich nicht sofort erkannt, würdest du jetzt in einem Fass eingenagelt die Donau runtertreiben. Was hast du hier überhaupt zu schaffen? Hab ich dir nicht gesagt, du sollst mit deinem Mädchen wieder zurück in dein bayrisches Kuhdorf?«
Simon seufzte tief. »Dieses Mädchen ist nun mal die Tochter des Schongauer Henkers, der bei euch wegen Mord gehängt, gerädert oder womöglich gevierteilt werden soll. Magdalena wird alles tun, um ihn zu retten.«
»Und du damit auch, wie? Dieses Mädchen hält dich ja ganz schön an der Kandare.« Gessner grinste und stieß Simon mit seinem Zeigefinger vor die Brust. »Aber das könnt ihr vergessen. Dieser Kuisl ist jetzt schon tot.«
»Vielleicht gibt es ja doch eine Möglichkeit«, sagte Simon. »Irgendetwas stimmt jedenfalls nicht an Eurer Vermutung, dass die Ratsherren dahinterstecken.«
»Was soll daran nicht stimmen?«, knurrte Gessner. »Es ist doch offensichtlich. Die Patrizier wollten sich an uns, den Freien, rächen, sie haben die Hofmanns abgestochen und dafür einen Sündenbock gesucht. Und da kam ihnen dieser Kuisl gerade recht.«
»Dieser ganze Aufwand, den Schongauer Henker hierherkommen zu lassen – der Brief, das gefälschte Testament, der Prozess. Warum sollten die Patrizier so etwas tun?«, beharrte Simon. »Nur für eine billige Rache?«
»Und was glaubst du , wie’s gewesen ist, Schlaumeier?«, fragte Gessner.
Simon zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Irgendjemand will sich offenbar an Jakob Kuisl rächen und hat das alles hier eingefädelt. Keine Ahnung, wer das ist. Vielleicht ein gewisser Weidenfeld, der rätselhafte Briefe verschickt, vielleicht ein anderer Wahnsinniger, wer weiß? Aber es gibt da noch einige andere Dinge, die ichnicht verstehe. Wusstet Ihr zum Beispiel, dass Andreas Hofmann eine geheime Alchimistenküche hatte?«
»Eine Alchimistenküche?« Karl Gessner runzelte
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