Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
lagerte auf dem lehmigen Boden – zerbrochene Wagenräder, Mühlsteine, alte Kisten und Fässer, die möglicherweise seit Jahrzehnten vor sich hin moderten. Irgendjemand musste vor Urzeiten den Zugang zum Bischofshof vermauert haben, im Lauf der Jahre war der Lagerkeller dahinter dann offenbar vergessen worden.
Magdalena blickte sich blinzelnd um. Mittlerweile hattensich ihre Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt. Vorsichtig, ohne ein Geräusch zu verursachen, stieg sie über zerborstene Bretter und Ziegelsteine hinweg, bis sie vor einem Bretterverschlag stand; einige Latten waren erst vor kurzem herausgerissen worden. Dahinter führten ausgetretene Steinstufen hinauf zu einer breiten Gasse.
An den drei überdachten Brücken, die sich über die Straße spannten, erkannte Magdalena, dass sie tatsächlich nördlich des Bischofshofs an die Oberfläche gekommen war. Die sogenannten Schwibbögen führten hinüber zu den bischöflichen Lagerhallen am Fluss. Wachen waren keine zu sehen – obwohl die städtischen Büttel wohl nur darauf warteten, dass einer der drei Gesuchten den Kopf aus dem Bischofshof steckte. Doch offenbar rechneten die Wachen nur mit einer Flucht durch den Haupteingang oder über den Dom.
Magdalena schaute hinter sich in die Dunkelheit. Wo nur Simon blieb? Sie hatte fest damit gerechnet, dass er ihr schon bald folgen würde, schmollend, aber wenigstens halbwegs abgekühlt. Der Medicus kannte ihre gelegentlichen Temperamentsausbrüche, lange konnte er ihr nie böse sein – und sie ihm auch nicht. Sollte sie umkehren und ihn suchen? Erneut beobachtete sie die Gasse, die immer noch menschenleer war. Wie lange mochte ihr Vater schon verschwunden sein? Zehn Minuten? Fünfzehn? Vielleicht hatte er sich nur einige Häuser weiter in einem Hof versteckt. Magdalena spürte, wie ihr Atem schneller ging. Je länger sie hier wartete, umso mehr entfernte sich ihr Vater von ihr.
Simon oder ihr Vater?
Noch einmal blickte sie zurück, doch von dem Medicus war noch immer nichts zu sehen oder zu hören, träge verrann die Zeit. Endlich traf sie eine Entscheidung. Simonwusste, wo sie hinwollte, er konnte ihr einfach in das Haus des venezianischen Gesandten folgen. Ihren Vater hingegen würde sie vielleicht bald schon für immer verloren haben.
Leise fluchend zwängte Magdalena sich durch die Lücke im Bretterverschlag und schlich auf die andere Seite der Gasse. Kurz darauf war sie in der Nacht verschwunden.
Ohne darauf zu achten, ob ihn jemand hörte, schleuderte der Medicus einen Sack Getreide gegen die Wand. Der Beutel platzte auf, und die Körner prasselten wie dichter Regen zu Boden.
Simon tobte innerlich. Was fiel diesem frechen Weibsbild nur ein, ihn so herunterzuputzen! Er wusste selbst, dass sein Plan, mit Hilfe des bischöflichen Braumeisters aus der Stadt zu fliehen, gescheitert war. Aber war das etwa seine Schuld? Konnte er etwas dafür, dass Pater Hubertus tot im Biersud dümpelte? Der Gedanke, den arroganten Venezianer um Hilfe zu bitten, war einfach absurd! Nun, vielleicht nicht ganz so absurd – dieser Silvio mochte tatsächlich Einfluss haben und ihnen Unterschlupf gewähren –, aber für Simon kam das einfach nicht in Frage. Wie hatte Magdalena sich das vorgestellt? Dass er seelenruhig zusah, wie dieser Zwerg ihr Avancen machte, sie möglicherweise beide aus der Stadt schmuggelte, und er stand die ganze Zeit daneben wie ein gehörnter Trottel?
Einen weiteren Getreidesack als Wurfgeschoss in der Hand haltend, erkannte Simon, dass er tatsächlich eifersüchtig war.
Womöglich hatte Magdalena recht, und Silvio war wirklich ihre letzte Rettung. Seufzend ließ er den Sack zu Bodengleiten und setzte sich auf den Steinhaufen neben der geheimen Tür. Aus dem Raum dahinter war ein Splittern zu hören, offenbar stieß Magdalena gerade etwas Größeres um. Simon überlegte, nach ihr zu rufen, entschied sich dann aber dagegen. Sollte das Mädchen ruhig einmal versuchen, ohne ihn zurechtzukommen. Wenn sie Hilfe benötigte, konnte sie ja zurückkommen.
Simon nahm die Körner vom Boden auf und ließ sie durch seine Hand gleiten. Die letzte halbe Stunde hatte ihn gehörig durcheinandergebracht. Gerade noch waren sie alle drei nach langer Zeit wieder vereint gewesen und hatten ihren gemeinsamen Ausbruch geplant, und nun ging jeder wieder seiner eigenen Wege. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren! Die Getreidekörner tropften durch seine Finger, zuerst eines nach dem anderen, schließlich immer schneller
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