Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
vielfach von den Wänden hallte. Der Gesandte war mit seiner Geduld ganz offensichtlich am Ende. Schweißüberströmt winkte er Jeremias, der Magdalena nun auf das schmale Sims warf und mit beiden Händen festhielt. Silvio beugte sich über sie und versuchte, ihr das Mehl wie bei einer Stopfgans in den Rachen zu schieben.
Magdalena presste die Lippen aufeinander, doch der Venezianer hielt ihr die Nase zu, bis sie verzweifelt Atem holte und den Mund öffnen musste. Sofort schmeckte sie den bitteren, feuchten Staub, der sie würgen ließ. Die Henkerstochterspürte, wie scharfe Magensäure ihre Kehle hochkroch, trotzdem versuchte sie, das Mutterkorn nicht zu schlucken. Mittlerweile quoll ihr Mund über vor Mehl, und sie drohte zu ersticken, sie spuckte und schrie wie ein Schwein auf der Schlachtbank.
»Magdalena!«
Zuerst glaubte die Henkerstochter einen Geist zu hören. Es war ganz eindeutig die Stimme ihres geliebten toten Simon, der vom Himmel her zu ihr herunterrief. Wie war das möglich? Hatte das Mutterkorn vielleicht schon zu wirken begonnen?
Bin ich bereits verrückt?
Doch dann erblickte sie im Torbogen eine kleingewachsene Gestalt mit schmutzigem Hemd, zerzaustem Knebelbart und schulterlangen, schwarzen Haaren. Kluge Augen funkelten sie an. Wenn der Mann vor ihr nur eine Einbildung war, dann wirkte dieses Mutterkorn wirklich verdammt gut.
Simon! Bist du’s wirklich?
Magdalena spürte, wie ihr Herz einen Sprung machte. Das hier war keine Vision! Ihr Simon lebte, und er kam, um sie zu befreien! Nur noch wenige Schritte und …
Plötzlich merkte sie, wie Silvio Contarini von ihr abließ. Über den glitschigen Sims lief er auf den Durchgang zu. Gerade in dem Augenblick, in dem Simon das Gewölbe betrat, holte Silvio mit einem Stein aus und ließ ihn auf die Stirn des Medicus herabsausen. Schreiend warf er sich auf seinen überraschten Gegner, und beide Männer verschwanden in einem Strudel aus spritzender Gischt und wild zuckenden Armen und Beinen. Ohnmächtig musste Magdalena mit ansehen, wie der Venezianer ihren Simon mit beiden Händen unter Wasser drückte; der Medicus gurgelte und zappelte, doch Silvio ließ nicht locker.
»Narr!«,hörte Magdalena die Stimme des Venezianers durch das Gewölbe hallen. »Du hättest mit der Mühle in die Luft gehen sollen. Das wäre schmerzloser gewesen. Jetzt werd ich dich eben ersäufen wie eine Ratte.«
Kurz tauchte Simon wieder auf, nur um von Silvio Contarini erneut unter die Wasseroberfläche gedrückt zu werden. Die Perücke war dem Venezianer mittlerweile ganz vom Kopf gerutscht. Darunter zeigte sich schütteres, dünnes Haar und eine beginnende Halbglatze. Silvios Augen leuchteten wie die eines bösen Kobolds.
»Stures Pack!«, zischte er. »Will einfach nicht erkennen, dass es zu Ende ist. Jetzt stirb schon endlich, du störrischer Hund!«
Verzweifelt versuchte die Henkerstochter sich aus den Armen von Jeremias zu befreien, doch diesmal hielt sie der Flößer fest wie auf einer Streckbank. Er grinste und beugte sich mit seinem pockennarbigen Gesicht so tief über sie, dass sie seinen weinsaueren Atem riechen konnte.
»Wenn das mit dem Mutterkorn stimmt, Liebchen«, knurrte er, »dann werden wir zwei in den nächsten Wochen noch viel Spaß ha…«
Voller Abscheu spuckte Magdalena dem Flößer das gemahlene Mutterkorn ins Gesicht, das noch zwischen ihren Zähnen und an ihrem Gaumen klebte. Jeremias hatte die Lippen weit geöffnet, so dass die mit Speichel vermischten Bröckchen in seine Mundhöhle eindrangen. Er hustete, würgte und ruderte verzweifelt mit den Armen. Ganz offensichtlich hatte er Angst, sich zu vergiften.
»Hure! Das wirst du mir büßen!«
Magdalena ließ sich vom Sims ins Wasser fallen und tauchte durch das dunkle, eiskalte Wasser aus Jeremias’ Reichweite. Als ihr der Atem ausging, kam sie wieder an die Oberfläche und stellte fest, dass in der Zwischenzeit zweiweitere Gestalten hinzugekommen waren. Erleichtert erkannte sie Hans Reiser und Bruder Paulus, die mit Stöcken auf den Flößer eindroschen und ihn so Schritt für Schritt gegen die Wand drängten.
Als sie sich wieder umdrehte, waren Simon und Silvio verschwunden.
Es dauerte eine Weile, ehe sie sie in der Dunkelheit entdeckte. Sie kämpften fast lautlos weiter hinten im hüfttiefen Wasser; die Fackeln an den Wänden warfen lange, verzerrte Schatten, von denen Magdalena nicht sagen konnte, wer zu welcher Person gehörte. Sie ähnelten einem gewaltigen Scherenschnitt, der
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