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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Torwächter Alois herrührte. Der alte Büttel hatte ihn schon oft durch das Einmanntor hinausgelassen, damit er dem Kuislhaus noch einen Besuch abstatten konnte. Die Bestechung mit Branntwein oder gepanschtem Theriak kam Simon auf alle Fälle billiger als die Strafe, falls er beim nächtlichen Verlassen der Stadt erwischt wurde. Doch als er auf den Büttelzutrat, merkte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Josefs Gesicht war kalkweiß, seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst.
    »Wo … wo willst denn so spät noch hin?«, stammelte der alte Mann und hielt sich an der Hellebarde fest, als würde er sonst umfallen.
    »Komm schon, Josef.« Simon hob beschwichtigend die Hände. »Weißt eh, dass ich zur Magdalena geh. Ein Schlaftrunk wie immer?« Er zog ein kleines verkorktes Fläschchen unter seinem Mantel hervor.
    Der Büttel schüttelte nervös den Kopf. »Ich glaub, des ist heut kein so guter Gedanke. Bleib lieber in der Stadt.«
    »Aber wieso?«, begann Simon. In diesem Augenblick hörte er von weiter unten Lärm. Ein Rasseln und Johlen, übertönt vom Krächzen einer verstimmten Fiedel. Der Medicus beendete seinen Satz nicht, sondern schob die Wache zur Seite und eilte auf das Einmanntor zu.
    »Nicht, Fronwieser!«, schrie Josef ihm hinterher. »Du stürzt dich ins Unglück!«
    Doch Simon hörte ihn schon nicht mehr. Er öffnete den rostigen Riegel, duckte sich durch das schulterhohe Tor und rannte die Gasse hinunter zur Floßlände. Im Laufen sah er im Gerberviertel das Flackern vieler Lichter. Von dort kam auch der Lärm, der nun zu einem rhythmischen Donnern angeschwollen war, es klang wie das Trommeln der Schweden kurz vor der Brandschatzung. Ein einzelner Mann schien etwas zu rufen, ein Chor von Stimmen antwortete ihm, dann folgte wieder das Donnern. Schließlich erkannte Simon, dass die Lichter Fackeln und Laternen waren, kleine Punkte, die sich gleich einer glühenden Schlange auf ein Ziel zubewegten.
    Das Haus des Henkers.
    Simon stolperte mehr, als er lief, die Pflastersteine unten ander Floßlände waren noch schlüpfrig vom abendlichen Sommergewitter. Schließlich hatte er die Häuser des Gerberviertels erreicht. Er duckte sich hinter einen mit duftendem Heu gefüllten Karren und beobachtete von dort aus das weitere Geschehen.
    Es waren zwei bis drei Dutzend junger Burschen, Schongauer Handwerksgesellen und einige Knechte aus den umliegenden Weilern. Ihre Gesichter waren mit Ruß geschwärzt, manche von ihnen hatten Säcke über den Kopf gezogen, mit Augenschlitzen, hinter denen es im Fackellicht weiß funkelte. Trotz der Vermummung erkannte Simon viele von ihnen an der Stimme und am Gang. In den Händen hielten die Burschen Dreschflegel, Rasseln und Sensen, an denen teilweise kleine Glocken befestigt waren. Einer der Gesellen hatte die haarige Maske eines Teufelswesens vor sein Gesicht gebunden und tanzte eine Art dämonischen Veitstanz.
    In der Mitte der Schar stand ein Mann mit rußigem Gesicht, schwarzem Mantel und zwei weißen Hahnenfedern auf dem Hut. Der Medicus brauchte eine Weile, bis er begriff, dass es sich tatsächlich um Michael Berchtholdt handelte. Durch die weiten Gewänder und den Mummenschanz wirkte der dürre Bäckermeister weit größer und gefährlicher, als er in Wirklichkeit war. Plötzlich fing Berchtholdt in einem monotonen, aber lautstarken Singsang zu sprechen an, und die anderen verstummten.
    »Die Hur vom Kuisl, die Henkersdirn. Die lässt an jeden gern probiern. Und wenn der Bauch schwillt, feist und rund, macht unser Medicus sie wieder g’sund. Ist’s wahr, Haberer?«
    Der Chor der Vermummten erscholl einstimmig wie ein gewaltiges, brummendes Untier. »Wahr ist’s!«
    »Dann treibt’s zu!«
    Erneutsetzte das Rasseln und Pochen ein und schwoll an zu einem infernalischen Lärm. Überall waren mittlerweile die Fensterläden in den umliegenden Häusern aufgegangen, die Nachbarn sahen mehr amüsiert als ängstlich auf den lärmenden Haufen hinunter. Wann bekam man in dieser verschlafenen Stadt schon ein solches Schauspiel geboten?
    Simon kauerte derweil hinter dem Karren und überlegte verzweifelt, was er tun konnte. Er hatte von solchen Femegerichten gehört, wenn auch nicht in Schongau. Oft fielen diesem sogenannten Haberfeldtreiben liederliche Mädchen zum Opfer oder andere Mitglieder der Gesellschaft, die gegen Sitte und Moral verstoßen hatten. Stadtbekannte Trunkenbolde oder lüsterne Pfarrer ebenso wie gierige Großbauern und betrügerische

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