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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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dafür!«
    »Lügen, Lügen! Ich stopf dir dein dreckiges Schandmaul, Kuisltochter!« Michael Berchtholdt rannte zur Tür des Henkershauses. Als er sie verschlossen vorfand, trat er wie ein Irrsinniger dagegen, doch die schweren Eichenbretter hielten. Schließlich warf er seine Laterne im hohen Bogen aufs Hausdach.
    »Wir brennen das Henkershaus nieder!«, kreischte er. »Auf geht’s, Haberer! Das lassen wir uns von einer Hur nicht bieten!«
    Zuerst zögerlich, dann in immer schnellerer Abfolge begannen die jungen Burschen ihre brennenden Fackeln gegen die Hauswand und aufs Dach zu werfen. Schon bald fingen einige der Schindeln Feuer, eine Rauchsäule stieg wie ein dünner schwarzer Finger in den Himmel empor. Es knisterte und knackte, die züngelnden Flammen wurden größer und größer, schließlich brannte das ganze Dach lichterloh.
    »Raus hier, schnell!«, rief Anna-Maria Kuisl und zog die weinenden Zwillinge vom Fenster weg. »Bevor wir bei lebendigem Leib verbrennen!«
    Sie rannte mit den Kindern die Stiege hinunter und hinaus ins Freie, wo sie ein Hagel von Steinen, faulem Gemüse und stinkenden Mistbrocken erwartete. Magdalena folgte den dreien. Trotzig blieb sie in der Tür stehen und ließ Schmutz und Häme an sich abprallen.
    Plötzlich traf sie ein Stein an der Stirn, und sie taumelte zurück; ein dünnes Rinnsal Blut lief ihr über die rechte Schläfe und tropfte auf ihr Mieder. Einen Augenblick lang schien die Henkerstochter versucht, es mit sämtlichen Bauernburschen und Gesellen Schongaus gleichzeitigaufzunehmen. Mit beiden Händen krallte sie sich am Türstock fest, ihre Lippen zischten leise Flüche. Doch dann siegte die Vernunft, und sie rannte der Mutter und den Geschwistern hinterher, die hinter einem Holzstoß in Deckung gegangen waren.
    Seit den ersten Flammen auf dem Hausdach war nur eine kurze Zeit vergangen. Wie versteinert hatte Simon in seinem Versteck gekauert, jetzt hielt er es nicht mehr länger aus. Ohne weiter zu überlegen, rannte er hinter dem Karren hervor, direkt in die Meute hinein.
    »Ihr feigen Hunde!«, brüllte er. »Einer Mutter mit ihren Kindern das Haus anzünden, das ist alles, war ihr könnt!« Die Burschen wandten sich erstaunt um. Als sie Simon entdeckten, flammte unbändiger Hass in ihren Augen auf. Gleich drei von ihnen liefen auf den Medicus zu, der sie mit seinem Messer auf Abstand zu halten versuchte. Die rasiermesserscharfe Klinge pfiff in einem Halbkreis durch die Luft, und die Männer wichen zurück.
    »Keinen Schritt näher«, zischte Simon. »Als Feldscher hat mein Vater mit diesem Stilett schon etliche Finger und Arme amputiert. Auf ein paar mehr oder weniger kommt’s nicht mehr an!«
    Auf einmal hörte er hinter sich schnelle Schritte. Bevor er sich umdrehen konnte, warf sich ein kräftiger Körper auf ihn und drückte ihn zu Boden. Sofort waren auch die anderen Burschen über ihm. Einer der Berchtholdts holte mit der Faust aus und drosch auf Simons Gesicht ein, immer wieder, als wäre es ein Sack Mehl. Der Medicus schmeckte sein eigenes Blut, nach dem vierten Hieb wurde ihm schwarz vor Augen. Die Schreie und der Lärm klangen seltsam verhallt, schwarze Schwaden wie von Rauch zogen an ihm vorbei.
    Sie schlagen mich tot. Wie einen tollwütigen Hund schlagen sie mich tot. Das ist das Ende …
    Wie im Traum vernahm er mit einem Mal ein Donnern, etwas Kaltes tropfte auf sein Gesicht. Er brauchte einige Augenblicke, bis er merkte, dass es Regentropfen waren; dicke, schwere Tropfen, die nun in immer geringeren Abständen zu Boden fielen. Nur kurze Zeit später strömte ein kräftiger Platzregen auf ihn und seine Feinde hernieder und verwandelte den Boden in schlammigen Morast.
    »Im Namen Ihrer kurfürstlichen Majestät, sofort aufhören!«
    Die Stimme war so laut, dass sie selbst im prasselnden Regen noch klar zu verstehen war. Auf dem Boden liegend wandte Simon den Kopf und sah wie durch einen Nebel hindurch eine Gestalt auf einem Pferd. Der Medicus blinzelte mehrmals, bevor er durch einen Blutschleier erkannte, dass es sich um den Gerichtsschreiber Johann Lechner handelte. Der Regen tropfte an seinem schwarzen Mantel herunter, die Haare klebten ihm an der Stirn. Doch trotz des Gewitterregens sah der kurfürstliche Stellvertreter aus wie ein zorniger, ehrfurchtsgebietender Gott. Als oberste Autorität in Schongau unterstanden ihm ein Dutzend Stadtwachen, die nun mit geladenen Musketen auf die Aufrührer zielten. Ihre Mienen verrieten, dass sie alles andere

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