Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Müller. Dem Medicus war zu Ohren gekommen, dass man die Beschuldigten gelegentlich mit Peitschen durch die Haferfelder trieb, meistens blieb es jedoch bei harmlosen Spottversen. In Kinsau, einige Dörfer weiter, hatten junge Burschen dem Bader letztes Jahr die Hauswand mit Menschenkot beschmiert und einen Mistkarren aufs Dach gehievt. Der Mann hatte das Spektakel schweigend ertragen. Er wusste, dass er gegen die Mehrheit des Dorfes nichts ausrichten konnte, und hatte daher sein Maul gehalten.
Dieser Punkt brachte Simon ins Grübeln. Er konnte sich nämlich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Magdalena eine solche Hetze ohne Gegenwehr über sich ergehen ließ. Würde sie die Haberer angreifen? Ihnen die mit Ruß verschmierten Gesichter zerkratzen? Wie würden die Männer ihrerseits reagieren? Unsicher blickte der Medicus hinüber zu den geschlossenen Fensterläden des Henkershauses, als Michael Berchtholdt zu einem neuen Spottvers ansetzte.
»Somancher Magd hat sie bei Nacht den Hexentrunk vorbeigebracht. Er macht die Mädchen zu Dämonen und lässt sie in der Hölle wohnen. Ist’s wahr, Haberer?«
»Wahr ist’s!«
»Dann treibt’s zu!«
Zorn stieg in Simon auf und ließ ihm das Blut im Kopf rauschen. Michael Berchtholdt drehte den Spieß einfach um! Der vermummte Bäcker ließ es so aussehen, als hätte Magdalena die Magd Resl auf dem Gewissen. Und die Leute schienen ihm das auch noch zu glauben! Simon wusste, er konnte nur verlieren, trotzdem musste jemand diesem Treiben Einhalt gebieten.
Gerade zückte der Medicus sein Messer, um kampfbereit hinter dem Karren aufzutauchen, als plötzlich oben im ersten Stock des Henkershauses krachend die Fensterläden aufgingen. Magdalena stand dort oben im weißen Leinenhemd, die schwarzen Haare zerzaust, die Lippen schmal, die Augen schienen Blitze zu versprühen. Simon zuckte zusammen. Kurz glaubte er, nicht seine geliebte Magdalena, sondern einen alttestamentarischen Racheengel vor sich zu sehen. Auch die gerade noch lärmenden Burschen waren von ihrem Auftreten so verwirrt, dass für einige Sekunden absolute Stille herrschte.
»Lügen!«, schrie die Henkerstochter in die Nacht hinaus. »Dreckige, feige Lügen! Ihr alle wisst, was passiert ist. Ihr alle! Und trotzdem steht ihr hier wie die Ochsen und helft dem Berchtholdt bei seinem Mummenschanz.«
Sie deutete auf den Bäckermeister, der die Finger seiner rechten Hand in einer Schutzgeste vor sich hielt, als wollte er den Teufel vertreiben. » Du , Berchtholdt, hast deine Magd geschwängert und ihr das Gift gegeben, nicht ich! Zum Gerichtsschreiber Lechner werd ich gehen und ihm alles erzählen. Wenn mein Vater, der Henker, dann mit dirfertig ist, wirst froh sein, wenn du dein Gesicht maskieren darfst. Die Nasn wird er dir abschneiden und den Hunden zum Fraß vorwerfen!«
»Halt’s Maul, Henkersdirn!«
Michael Berchtholdts Stimme zitterte vor Hass und Zorn. »Wird Zeit, dass dir jemand dein vorlautes Maul stopft. Hast schon viel zu lang in unserer Stadt herumgehurt! Und was deinen Vater angeht …« Er blickte sich beifallheischend um. »Der Schreiber Lechner wird schon dafür sorgen, dass der Kuisl seine eigene Tochter mit der Rute durch die Gassen peitschen muss. Lüsterne Dirn! Ist’s wahr, Haberer?«
»Wahr ist’s!«
Die Stimmen klangen zwar nicht mehr so laut wie vorhin, doch die jungen Burschen schienen ihre Selbstsicherheit wiedergefunden zu haben. Noch immer stand Simon hinter dem Karren. Im Hintergrund der oberen Henkerskammer sah er nun Anna-Maria Kuisl neben den verängstigten Zwillingen, die offenbar von dem Lärm aufgewacht waren. Die Kuislmutter wandte sich beruhigend an Magdalena und versuchte, sie vom Fenster wegzuziehen. Doch diese blieb stur.
»Lüsterne Dirn?«, schrie sie gegen den Lärm der Haberer an und deutete auf den Anführer. »Wer ist hier lüstern, Berchtholdt? Hat dir mein Vater nicht erst letztes Jahr einen Trank gebraut, damit dir die Rute schön steht? Verlogener Drecksack! Und habt’s ihr nicht alle schon einmal bei uns nach Efeu und Steinsamen gefragt, wenn ihr mit euren Buhlinnen in den Scheunen verschwindet? Auf jeden von euch könnt ich einen Reim machen! Berchtholdt, hör gut zu …« Sie hielt kurz inne, um sich zu konzentrieren, bevor sie dem Anführer der Haberer ihren Spruch wie einen Fluch entgegenschleuderte.
»DieFrau vom Berchtholdt trocknet aus. Der Bäcker treibt’s gern außer Haus. Besteigt die Magd ganz wie ein Stier. Und gibt ihr auch noch Gift
Weitere Kostenlose Bücher