Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
als erfreut waren, um diese nachtschlafende Zeit hier im Regen stehen zu müssen. Auch der Schreiber schien sichtlich ungehalten, dass man ihn aus seinem herzoglichen Pflegschloss getrommelt hatte, wo er den Kurfürsten in Regierungsangelegenheiten vertrat.
»Ich gebe euch genau eine Minute, um von hier zu verschwinden«, sagte Lechner mit leiser Stimme. »Danach lasse ich schießen. Verstanden?«
Simon hörte Geflüster und Getrappel, Vermummte flüchtetenin die Dunkelheit. Schon nach wenigen Augenblicken war der Platz vor dem Henkershaus wie leergefegt. Nur ein paar weggeworfene Leinensäcke und erloschene Fackeln zeugten noch von dem Alptraum, eine Teufelsmaske lag in einer Pfütze aus Regenwasser und Pferdepisse und grinste Simon hämisch an. Im Hintergrund züngelten noch ein paar wenige Flammen am Dach, ansonsten hatte der starke Platzregen den Brand vollständig gelöscht.
»Bei Gott, sorgt schleunigst dafür, dass das Feuer nicht wieder ausbricht!«, rief der Schreiber den Stadtwachen zu. »Verfluchtes Haberfeldtreiben! Die Pest soll die Bauern allesamt holen!«
Die Büttel füllten an einem naheliegenden Brunnen einige Eimer mit Wasser und rannten die Stiege hoch in den Speicher des Henkershauses, um dort die letzten Brände zu ersticken. Einige halfen Anna-Maria Kuisl, die Kühe aus dem Stall zu lassen, die vor Angst wie wahnsinnig muhten und immer wieder gegen die Bretterverschläge traten. Unterdessen starrte Magdalena von einem sicheren Platz aus auf das rauchende Dach. Mit leiser Stimme tröstete sie ihre Geschwister, die weinten und die Köpfe im Schoß ihrer großen Schwester vergruben. Das Gesicht der Henkerstochter war eine ausdruckslose Maske.
»Das werden sie büßen!«, zischte Magdalena schließlich und rieb sich das Blut von der Stirn. »Dafür wird mein Vater sie hängen. Das schwör ich!«
Simon hatte sich in der Zwischenzeit aufgerichtet und war hinübergehumpelt zu Magdalena. Jetzt beugte er sich über die Zwillinge und untersuchte sie oberflächlich. Vor allem der kleine Georg musste immer wieder husten. Offenbar hatte er eine leichte Rauchvergiftung erlitten.
Ein paar letzte Tropfen fielen vom Himmel, dann hörte derRegen auf. Nur noch von fern war das Donnern zu hören, wie die Trommeln einer Armee, die sich nach und nach zurückzog.
»Fronwieser, Fronwieser …«
Mit einer Mischung aus Amüsement und Mitleid blickte Johann Lechner von seinem Pferd auf Simon herunter. »Nichts als Ärger bringt Ihr mir ein. Jetzt muss ich schon mitten in der Nacht aufstehen, um Euer erbärmliches Leben zu retten.« Er deutete auf das rauchende Dach. »Wäre der Regen nicht gewesen, ganz Schongau hätte in Flammen aufgehen können. Und das alles wegen einem starrköpfigen Weibsbild.«
»Exzellenz …«, begann der Medicus. Doch Lechner winkte ab.
»Ich weiß, was vorgefallen ist. Und ich weiß auch, wer dahintersteckt.« Er beugte sich im Sattel tief hinunter und musterte Simon wie einen kleinen, ungehorsamen Jungen. »Aber glaubt mir, so etwas musste irgendwann einmal geschehen. Hab ich Euch nicht schon ein paar Mal gesagt, dass Ihr Euer Techtelmechtel mit der Kuisltochter beenden sollt? Die Leute werden Euch sonst niemals in Ruhe lassen.« Lechner seufzte, bevor er fortfuhr. »Diesmal hab ich Euch noch geholfen, Fronwieser, auch weil das Wohl der Stadt auf dem Spiel stand. Aber das nächste Mal seid Ihr auf Euch allein gestellt. Und dann gnade Euch Gott.«
Simon war zu schwach, um zu antworten. Geronnenes Blut hatte seinen Mund verklebt. Das linke Auge war bereits gänzlich zugeschwollen, die rechte Gesichtshälfte würde vermutlich schon in der nächsten halben Stunde in allen Farben erstrahlen. Sein ganzer Körper fühlte sich an, als wäre er in eine Getreidemühle geraten. Der Schock und die Angst um Magdalena hatten ihn die Schmerzen zunächst vergessen lassen, doch jetzt brachen sie über ihn hereinwie eine Sturmflut. Vergeblich suchte er nach einer passenden Antwort.
»Ist das alles?« Es war die Stimme von Magdalena, die sich mittlerweile vor dem Pferd des Schreibers aufgebaut hatte. Ihr Gesicht war puterrot vor Zorn. »Diese Burschen fackeln beinah unser Haus ab, sie schlagen den Simon halb tot, der Berchtholdt hat seine Magd vergiftet, und Ihr haltet uns eine Strafpredigt?«
Johann Lechner zuckte mit den Schultern. »Hätt ich sie alle einsperren lassen sollen? Die Ernte naht, ich kann die Felder nicht verkommen lassen. Vielleicht sollte ich den Berchtholdt an den Pranger
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