Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
können. Die Zwillinge waren im letzten Jahr erstaunlich gewachsen, offenbar kamen sie ganz nach ihrem Vater.
»Nix da, es muss auch einmal ein End haben«, sagte Magdalena mit gespielter Strenge, während sie ihre kleine Schwester ins Bett legte, zudeckte und den rußenden Kienspan ausblies, der in der Ecke auf einem Schemel stand. »Schau, dein Bruder hat schon die Augen zu.«
Sie zeigte auf Georg, Barbaras Zwillingsbruder, der in seinem schmalen Kinderbettchen tatsächlich schon zu schlafen schien.
»Dann sing mir wenigstens noch was vor«, murrte Barbara. Nur mühsam unterdrückte sie ein Gähnen.
Seufzend setzte Magdalena zu einem Schlaflied an. Während sie leise vor sich hin summte, schloss ihre Schwester die Augen. Bald schon ging ihr Atem ruhiger, und sie schien einzuschlummern.
Die Henkerstochter sah auf Barbara hinunter und strich ihr zärtlich über die Wange. Sie liebte ihre kleinen Geschwister, auch wenn sie ihr oft den letzten Nerv raubten.Für Georg und Barbara war ihr Vater ein brummiger Bär, der den Bösewichtern den Garaus machte und zu den eigenen Kindern liebevoll und zärtlich war. Fast ein wenig neidisch musste Magdalena feststellen, dass der Henker mit den Jahren immer gutmütiger geworden war. Sie selbst hatte von ihrem Vater bei einem Vergehen noch gehörig den Hintern versohlt bekommen; bei den Zwillingen beließ er es meist bei einem zornigen Knurren, was aber nicht immer zum gewünschten Ergebnis führte.
Magdalenas Gedanken weilten bei ihrem Vater im fernen Regensburg, als sie hinter sich plötzlich Schritte hörte. Es war ihre Mutter, die lächelnd die Kammer betreten hatte.
Anna-Maria Kuisl hatte die gleichen schwarzen Locken wie ihre Tochter, die gleichen buschigen Augenbrauen und auch das gleiche Temperament. Jakob Kuisl hatte schon oft geflucht, dass er eigentlich mit zwei Weibern verheiratet sei, die beide zu Wutausbrüchen neigten. Wenn sie gemeinsam auf ihn einschimpften, zog er sich oft in seine Kammer zurück und brütete über den medizinischen Büchern aus dem Apothekerschrank.
»Und?«, fragte Anna-Maria Kuisl leise. »Schlafen die Bälger endlich?«
Magdalena nickte und stand stöhnend vom Bett auf. »Ein Dutzend Geschichten und bestimmt hundertmal ›Hoppe, hoppe, Reiter‹. Das sollte dann auch langen.«
»Du verhätschelst sie zu sehr.« Die Frau des Henkers schüttelte den Kopf. »Ganz wie dein Vater. Bei seiner kleinen Schwester hat er das auch immer gemacht.«
»Die Lisbeth?«, fragte Magdalena. »Hast du sie gut gekannt?«
Anna-Maria Kuisl biss sich auf die Lippen. Magdalena spürte, dass ihre Mutter eigentlich nicht über die todkrankeTante reden wollte, nicht an einem so schönen Sommerabend wie diesem. Trotzdem schwieg sie beharrlich, bis ihre Mutter schließlich zu erzählen begann.
»Als Lisbeths und Jakobs Eltern tot waren, hat sie hier mit uns im Haus gewohnt«, sagte Anna-Maria Kuisl. »Sie war ja noch so jung, fast ein Kind. Aber dann kam dieser Bader und hat sie mit nach Regensburg genommen. Dein Vater hat geflucht und geschimpft, aber was sollte er machen? Einen Dreck hat sie sich um ihren großen Bruder geschert, war genauso ein Sturschädel wie er. Sie hat einfach ihre Sachen gepackt und ist verschwunden. Ausgerechnet nach Regensburg …«
Ihre Augen blickten ins Leere, als würde in ihrem Kopf ein grausiges Bild aus der Vergangenheit auftauchen, so wie ein Untier aus einem dunklen See. Lange Zeit sprach sie nicht weiter.
»Warum?«, fragte Magdalena schließlich in die Stille hinein. »Weshalb ist sie fortgegangen?«
Anna-Maria Kuisl zuckte mit den Schultern. »Liebe vielleicht? Ich glaub allerdings eher, dass sie es hier nicht mehr ausgehalten hat. Die ewigen Sprüche, die bösen Blicke, das Kreuz, das sie hinter deinem Rücken schlagen.« Sie seufzte. »Du weißt selbst, es gehört ein dickes Fell dazu, die Tochter des Henkers zu sein und im Ort zu bleiben.«
»Oder viel Dummheit«, murmelte Magdalena leise.
»Was hast du gesagt?«
Magdalena schüttelte den Kopf. »Nichts, Mama.« Sie setzte sich auf den Schemel in der Ecke und beobachtete ihre Mutter im Mondlicht, das durch die geöffneten Fensterläden hereinschien.
»Du hast mir nie erzählt, wie du den Vater das erste Mal getroffen hast«, sagte sie schließlich. »Ich weiß so wenig von dir. Wo kommst du her? Wer sind meine Großeltern?Du musst doch auch ein Leben vor dem Vater gehabt haben.«
Tatsächlich hatte ihre Mutter immer über ihre Vergangenheit geschwiegen. Auch
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