Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
stellen, vielleicht, ja.« Er wog bedächtig den Kopf. »Aber dafür müsste ich ihm erst mal was beweisen können. Er war wie die anderen vermummt, und keiner von den Bauernschädeln verpfeift den Bäckermeister, dem sie Jahr für Jahr ihr Mehl verkaufen. Glaubt mir, das würde ein langer Prozess werden, der keinem etwas bringt. Außerdem haben die Leute ja recht.« Er wandte sein Pferd und begann wieder auf die Stadt zuzutraben, während er noch einmal den Blick nach hinten richtete. Fast bedauernd schüttelte er den Kopf. »Ein Medicus und eine Henkerstochter, das geht nicht zusammen. Es braucht nun mal Regeln. Glaub mir, Magdalena, dein Vater würde das genauso sehen.«
Der Schreiber verschwand mit den Wachen in der Dunkelheit und ließ die kleine, durchnässte Gesellschaft allein zurück. Ein leichter Wind wehte über den Vorplatz und trug den Rauch davon. Nach dem Inferno von vorhin war es nun so still wie auf einem Friedhof. Schweigend wiegte Anna-Maria Kuisl die Kinder auf dem Schoß.
»Wir werden die Nacht wohl in der Scheune verbringen müssen«, sagte sie. »Morgen wird erst mal aufgeräumt. Der ganze Dachstuhl ist verrußt.«
Magdalenasah sie ungläubig an. »Wie bitte? Die setzen dir den roten Hahn aufs Dach, und du denkst sofort ans Aufräumen?«
Ihre Mutter seufzte. »Was sollen wir schon groß machen? Du hast doch den Lechner gehört. Von denen wird keiner zur Rechenschaft gezogen.« Zornig tippte sie ihrer Tochter auf die Brust. »Und glaub ja nicht, dass du hier weiter die Heldin spielen kannst. Damit ist jetzt Schluss! Diesmal haben wir noch Glück gehabt, aber das nächste Mal brennt vielleicht eines der Kinderbetten. Willst du das?« Sie sah ihre Tochter an, die ihre Lippen störrisch zusammengepresst hatte. »Willst du das, hab ich dich gefragt?«
»Deine Mutter hat recht«, sagte Simon. »Wenn wir dem Berchtholdt ans Leder gehen, brennt euer Haus das nächste Mal vielleicht ganz ab. Der Mann sitzt immerhin im Rat und hat die Leute auf seiner Seite.«
Magdalena blickte in den wolkenverhangenen Himmel und atmete die frische Luft ein, die der Regen mitgebracht hatte. Eine Weile lang sagte keiner etwas.
»Ihr glaubt doch nicht, dass die Ruhe geben«, flüsterte sie schließlich. »Für die bin ich Freiwild. Jetzt noch mehr als früher.«
Ihre Mutter sah sie ärgerlich an. »Weil ihr’s auch übertreibt! Der Lechner hat schon recht. Ein Henkersmädchen und ein Medicus, das schickt sich nicht. Ihr müsst damit aufhören, sonst gibt’s am End noch ein Unglück. Heiraten dürft ihr ohnehin nicht, das ist gegen das Gesetz. Und nach der Sach von vorhin werden die euch erst wieder in Frieden lassen, wenn ihr voneinander die Finger lasst.« Anna-Maria Kuisl stand auf und wischte sich den rußfleckigen Rock ab. »Dein Vater hat viel zu lang zugesehen, Magdalena. Jetzt ist Schluss damit! Gleich wenn er zurückkommt,werden wir dem Marktoberndorfer Scharfrichter einen Brief schreiben. Ich hab gehört, dass ihm seine Frau im Kindbett gestorben ist. Eine gute Partie wär der für dich. Ein großes Haus hat er, und …«
Magdalena sprang wutentbrannt auf. »Wegstecken willst mich also, dass ich dir keinen Ärger mehr mach. Ist es so?«
»Und wenn’s so wär?«, erwiderte ihre Mutter. »Allein, um dich und andere zu schützen. Du selbst bist dazu ja offensichtlich nicht in der Lage.«
Anna-Maria Kuisl nahm wortlos die Zwillinge an der Hand und ging mit ihnen zur Scheune, um ihnen dort ein Bett aus Stroh zu machen. Kurz schien es, als wollte Magdalena ihr noch etwas hinterherrufen, doch dann legte sich Simons Arm von hinten um ihre Schultern. Ihr Körper erzitterte, und sie begann lautlos zu weinen.
»Sie meint das sicher nicht so«, murmelte Simon. »Lass uns jetzt alle schlafen gehen. Morgen, wenn die Sonne aufgeht …«
Plötzlich klammerte sich Magdalena an Simon, als wollte sie ihn nie mehr wieder loslassen. Lange und heftig küsste sie ihn auf die noch blutigen Lippen. Sie zog ihn ganz zu sich heran, so dass er ihren festen Körper unter dem nassen Kleid spürte.
»Noch heute Nacht«, flüsterte sie schließlich.
Simon sah sie fragend an. »Was meinst du?«
Magdalena legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Die Mutter hat recht. Solang wir hier sind, werden sie uns jagen. Zu viel ist vorgefallen. Und das nächste Mal passiert vielleicht nicht nur uns etwas, sondern auch den Zwillingen. Das darf nicht sein.« Sie sah Simon tief in die Augen. »Lass uns von hier weggehen, noch heute Nacht.
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