Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
Vom Netzwerk:
sei denn, ihr präsentiert’s noch vor der peinlichen Befragung Beweise, dass ein anderer sich die Hände blutig gemacht hat. Dann schieben sie die Folter vielleicht noch einmal auf.«
    Magdalena runzelte die Stirn. »Und wie sollen wir das anstellen?«
    Der Mund ihres Vater war jetzt ganz nah an ihrem Ohr. Sie konnte den vertrauten Geruch von Schweiß und Tabak riechen.
    »Geht ins Haus meines Schwagers und sucht nach einem Hinweis«, flüsterte er. »Irgendwas. Ich wette, die Täter haben sich nicht viel Mühe gemacht, ihre Spuren zu verwischen. Wozu auch? Schließlich haben sie ihren Verdächtigen ja schon.«
    Magdalena nickte. »Und wenn wir nichts finden?«
    »Dann wird dein Vater seinen Meister treffen. Der Regensburger Henker ist, soviel ich weiß, ein harter Hund.«
    Es entstand eine längere Pause, in der von draußen plötzlich Stimmen zu hören waren.
    »Ich glaub, es kommt jemand«, flüsterte Magdalena.
    Jakob Kuisl schob seine Finger durch die Luke und drückte die Hand seiner Tochter so fest, dass sie fast aufschrie.
    »Schnell jetzt«, zischte der Henker. »Verschwind!«
    Ein letztes Mal sah die Henkerstochter ihrem Vater in die Augen, dann wandte sie sich ab und eilte durch den Gang. Gerade als sie die Gewölbehalle betreten wollte, stellte sich ihr der Wachmann von vorhin in den Weg.
    »Na?Wächst dem Werwolf schon sein Pelz?« Der Büttel strich ihr übers Mieder und drückte sie wieder zurück in den dunklen Gang. »Willst mal sehen, wo mir ein Pelz wächst?«
    Magdalena deutete nach hinten. »Der … der … das Monstrum ist gar nicht mehr da. Die Zellentür steht sperrangelweit offen.«
    »Was zum Teufel …?«
    Der Wachmann drängte sie zur Seite und rannte in den Kerkertrakt. Nur einen Augenblick später war Magdalena draußen in dem rußigen Vorgewölbe. Von dort aus konnte sie bereits das Sonnenlicht durch das geöffnete Tor schimmern sehen. Ohne innezuhalten lief sie vorbei an den verdutzten Wachleuten, die noch immer beim Würfelspiel zusammensaßen, und eilte weiter, auf den Ausgang zu. Ein letzter Satz, dann hatte sie das vordere Gatter durchschritten.
    Als sie endlich wieder auf dem Rathausplatz stand, wurde ihr klar, dass Simon in großen Schwierigkeiten steckte.
    Millimeter für Millimeter näherte sich die Spitze der Nadel dem glotzenden Auge. Der Kopf des Bettlers zuckte, doch die starken Hände des Wachsoldaten hielten ihn wie ein Schraubstock umklammert, zwei weitere Wachen hatten seine Arme gepackt. Mittlerweile hatte der alte Mann aufgehört zu schreien und zu winseln, entsetzt beobachtete er die Nadel, die schon bald seinen Augapfel zerschneiden würde. Es gab keine Rettung.
    »Bei Gott, halt still«, flüsterte Simon und versuchte, sich ganz auf sein zuckendes Ziel zu konzentrieren. »Ich kann dir helfen, aber nur, wenn du dich nicht bewegst.«
    Schweiß floss dem Medicus in Strömen übers Gesicht, dieAugustsonne brannte unbarmherzig auf den Marktplatz herunter. Die lauten Rufe der Zuschauer waren in ein gespanntes Gemurmel übergegangen. Das hier war besser als das übliche Schmierentheater, das fahrende Gaukler sonst zu bieten hatten. Vor allem, weil man nicht wusste, wie das Stück ausgehen würde.
    Der Wachmann hatte den alten Hans Reiser zufällig in der Menge entdeckt und als idealen Patienten auserkoren. An ihm sollte der selbsternannte Medicus nun demonstrieren, ob er sein Handwerk wirklich beherrschte oder doch nur ein Quacksalber war, was die meisten der Umstehenden ohnehin vermuteten. Seit Jahren schon stolperte Reiser mit seinen milchigen Augen über den Platz. Früher war er ein angesehener Glasbläser gewesen, doch die Arbeit hatte seine Sehkraft fast gänzlich zerstört. Jetzt war er nur noch ein greinender Alter, ohne Geld, ohne Familie – ein blinder Greis, der den Wachen auf dem Ratshausplatz zunehmend auf die Nerven ging.
    Der alte Bettler litt am Grauen Star, eine Augenkrankheit, bei der der Betroffene das Gefühl hatte, durch einen Wasserfall zu schauen, und die deshalb auch Katarakt genannt wurde. Die Pupillen waren grau eingefärbt wie zwei steinerne Murmeln. Die befohlene Operation konnte den Wachsoldaten nur nutzen: Entweder Reiser wurde geheilt und ging ihnen nicht mehr auf die Nerven, oder er starb an den Folgen des Eingriffs. Auch dann würde endlich Ruhe sein. Und dem Quacksalber konnte man wegen Kurpfuscherei den Prozess machen und ihn aufhängen.
    Eine rundweg perfekte Lösung.
    Simon wusste, dass er die nächste Woche nur dann erleben

Weitere Kostenlose Bücher