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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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von Magdalena und Simon im Schatten des Nachbarhauses gekauert.
    Schon vor langer Zeit hatte der Mann diese Kunst zur Vollendung gebracht. Er hatte in Nischen und Hauseingängen gebrandschatzter Städte gelauert und auf seinen Moment gewartet, er hatte sich auf den Schlachtfeldern tot gestellt, nur um tölpelhaften Leichenfledderern mit einem sauberen Schnitt die Kehle durchzuschneiden. Er war ein Meister der Täuschung, ein begnadeter Gott der Verwandlung. Seit so vielen Jahren schon war er jemand anderes, dass er Gefahr lief, sich in diesem anderen zu verlieren. In jemandem, der schon lange tot war.
    Doch dann hatte die Vergangenheit an seine Tür geklopft und ihn daran erinnert, wer er wirklich war. Das brennende Gefühl von Rache war wieder da und hatte ihn mit neuem Leben erfüllt.
    Der Henker war zurückgekehrt …
    Dass sich nun offenbar auch seine Tochter hier in Regensburg aufhielt, war nicht geplant. Aber es entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Der Mann schloss kurz die Augen und versuchte nicht laut aufzulachen. Hätte er an Gott geglaubt, er hätte ein Dankesgebet gemurmelt und dem Dom eine zwölf Pfund schwere Kerze gespendet.
    So spuckte er nur aufs Pflaster und nahm wieder die Fährte auf.
    Der Platz vor dem Rathaus war an diesem Sonntag dicht bevölkert mit Müßiggängern, Besuchern der zu Ende gegangenen Dommesse und dem üblichen Bettelvolk. Es war für Simon und Magdalena nicht schwer gewesen, ihn zu finden. Im Grunde hatten sie sich einfach dem Strom der Menschen angeschlossen, und der hatte sie vom Weißgerbergrabenüber eine breite, gepflasterte Straße bis direkt vor das neue Rathaus gespült.
    Das dreistöckige Gebäude war erst letztes Jahr teilweise fertiggestellt worden, weiß strahlte der Putz in der heißen Mittagssonne. Links davon stand ein noch höheres Haus mit bunten Glasfenstern und verschnörkelten Erkern. Aus seinem breiten Eingangsportal kamen immer wieder Gruppen von meist älteren Männern, gekleidet in kostbare, teils exotische Tracht und vertieft in ernste Gespräche. Satzfetzen drangen herüber, fremde Dialekte, die für Simon und Magdalena nur bruchstückhaft zu verstehen waren. Dort also musste sich der berühmte Reichssaal befinden! Der Ort, an dem sich die Reichen und Mächtigen in unregelmäßigen Abständen mit dem Kaiser trafen, um über die Geschicke des Deutschen Reichs zu bestimmen oder darüber zu beraten, wie man der zunehmenden Gefahr der Türken endlich Herr werden konnte. Die Flößer hatten ihnen auf der Fahrt erzählt, dass es in ein paar Monaten wieder so weit sein würde; offenbar traf man schon jetzt die ersten Vorbereitungen.
    Magdalena rempelte Simon von der Seite an und wies auf ein schmales Tor zwischen dem Reichstagsbau und dem Neuen Rathaus, vor dem zwei Wachmänner mit Hellebarden standen. Das Gatter stand zwar offen, doch die beiden Büttel machten einen ebenso wachsamen wie mürrischen Eindruck. Dahinter war ein düsteres Gewölbe zu erkennen.
    »Schau!«, flüsterte die Henkerstochter. »Die Kerker neben dem Rathaus. Das muss der Alte gemeint haben!«
    Simon zuckte mit den Schultern. »Und jetzt? Willst du an den Wachen vorbei, die Kerkertür einschlagen und den Henker mit dem Reisesack raushauen?«
    »Schafskopf!«, zischte Magdalena. »Reden will ich mit ihm.Wissen, was passiert ist. Vielleicht können wir ihm dann helfen.«
    »Und wie willst du das anstellen? Die lassen doch keinen rein!«
    Magdalena schmunzelte. Sie schien sich wieder ein wenig beruhigt zu haben. »Wir brauchen jemanden, der sie ablenkt, während ich mich drinnen umschau. Schaffst du das?«
    Simon starrte sie ungläubig an. »Ich soll was …?«
    Grinsend drückte die Henkerstochter ihm einen Kuss auf die Wange. »Lass dir was einfallen. Bist doch sonst auch nicht auf den Mund gefallen.«
    Dann begab sie sich forschen Schritts zu dem Tor, wo die Wachen sie bereits erwartungsvoll musterten.
    »Habt’s ihr das Monstrum auch gut eingesperrt?«, fragte sie unbekümmert. »Unten im Weißgerbergraben erzählen sie sich ja die schlimmsten Schauergeschichten. Es heißt, der Mann ist groß wie ein Baum und hat dem Bader und seiner Frau den Kopf abgerissen wie zwei Hühnern. Was ist, wenn er ausbricht, hä?«
    Der Blick der Soldaten wechselte von wachsam hin zu wichtigtuerisch. »Lass das nur unsere Sorge sein, Weib«, brummte der eine von ihnen. »Wir haben schon ganz andere Halunken hinter Schloss und Riegel gebracht.«
    »Wirklich?« Magdalena zog einen Schmollmund und

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