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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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nicht so wie die Musik, die sie von den Jahrmärkten und Kirchweihfesten her kannte, sondern sehr festlich, mit Trompeten, Harfen und Schalmeien.
    Ungefährso stellte sich Katharina die Musik der Engel vor.
    Sie hatte gelernt, dass das Auge sie in regelmäßigen Abständen besuchte. Manchmal deutete sich sein Kommen durch ein Scharren und Schaben an der Tür an, selten waren vorher schleichende Schritte zu vernehmen oder ein leises, melodisches Pfeifen. Oft aber war gar nichts zu hören. Dann spürte Katharina plötzlich ein Stechen und Kribbeln zwischen ihren Schulterblättern, und wenn sie sich umdrehte, war da wieder dieses Auge, das sie kühl und interessiert musterte.
    Schon vor Tagen hatte sie aufgegeben, um Hife zu schreien. Zuerst hatte sie geweint, geflucht und geschrien, bis ihre Stimme nur noch ein dünnes Krächzen war; doch als sie schließlich gemerkt hatte, dass all dies nichts nützte und sie bloß immer heiserer wurde, hatte sie sich zusammengerollt wie eine kranke Katze und war in ihr Innerstes gekrochen, hinein in ihren Kopf, wo sich seit kurzem die Bilder überschlugen. Es waren Bilder des Grauens, Visionen von Gepfählten und Germarterten, von abgeschlagenen Köpfen und Säuglingsleichen mit verdrehten Gliedern, von grünen, langhalsigen Ungetümen, die arme Seelen in Bottichen mit siedendem Öl kochten. Aber auch lüsterne Bilder waren darunter, nackte Jünglinge und zarte Mädchen, die sie in ihren Träumen zu streicheln schienen. Feengleiche Erscheinungen, die sie an den Armen hochhoben und auf den Blocksberg trugen, wo sie sich mit Männern wie Frauen in wilden Zuckungen vereinigte.
    Manchmal weinte und lachte Katharina zur gleichen Zeit.
    Immer dann, wenn ihre Gedanken wieder einmal klar zu sein schienen, versuchte sie sich zu erinnern, was eigentlich geschehen war. Sie hatte sich hinter dem Alten Kornmarktzur Schau gestellt. Derb geschminkt, wie es die Männer mochten, mit gefärbten Haaren und einem bauschigen Rock, den man nur hochzuheben brauchte, um den Freiern zu Diensten zu sein. Katharina wusste, dass ihre Arbeit nicht ganz ungefährlich war. Im Gegensatz zu vielen anderen Hübschlerinnen arbeitete sie ohne Kupplerin. Ihre Freundinnen ließen sich von der Dicken Thea oder jemand anderem beschützen und traten dafür einen Teil ihres Geldes ab, Katharina arbeitete allein. Wenn die Wachen sie erwischten, wurde sie auf dem Rathausplatz in die Schandgeige geschraubt und am nächsten Tag aus der Stadt geprügelt. Zweimal war ihr das schon passiert, das erste Mal hatte sie gerade fünfzehn Jahre gezählt. Jetzt, mit Anfang dreißig, war Katharina eine erfahrene Dirne, die wusste, wie sie den Bütteln entkam. Und wenn nicht, dann ließen sie sich doch immer mit ihrem Körper bestechen.
    Aber jetzt war das Unglück über sie gekommen. Ein namenloses Unglück, wie sie es sich in ihren schlimmsten Alpträumen nicht hätte vorstellen können.
    Der Mann hatte einen schwarzen Rock getragen und einen Hut, den er tief ins Gesicht gezogen hatte. Seine Stimme war fein und angenehm wohltönend gewesen, keiner dieser derben Flößer, die nach Schnaps stanken und sie wie ein Brett an die Hauswand nagelten. Sie hatte gewusst, dass bei diesem Mann etwas zu holen war. Er führte sie in einen versteckten Hauseingang, zog ein silbernes Fläschlein hervor und gab ihr etwas Warmes zu trinken. Die Flüssigkeit schmeckte nach süßem Wein und rann wie Honig durch ihre Kehle. Das Nächste, woran sie sich erinnerte, war, wie sie in einer Kammer auf ein Bett gefallen war. Der Mann hatte sie mit tausend Küssen bedeckt, und es war nicht unangenehm gewesen. Im Gegenteil,zum ersten Mal seit langem hatte sie wieder Lust empfunden. Doch als sie später aufgewacht war, hatte sie in dieser Kammer gelegen, mit stechenden Kopfschmerzen und brennendem Gaumen.
    Kein Zweifel, der Unbekannte hatte für sie gesorgt. Ein Bett mit weißem Linnen stand in einer Ecke, ein Eimer für die Notdurft in der anderen. Wein, Käse und weißes Brot hatten auf einem Tisch bereitgestanden, in silbernen Schüsseln und zarten, gläsernen Kelchen. Sie hatte noch nie weißes Brot gegessen, es schmeckte himmlisch, ganz ohne Spelzen, Sand und harte Körner. Auch in den Tagen darauf hatte es weißes Brot und andere Köstlichkeiten gegeben. Wurst, Schinken, sahnige Butter … Mit der Zeit gewann Katharina den Eindruck, dass sie wie eine Gans gemästet werden sollte. Trotzdem aß sie brav weiter, es war die einzige Abwechslung in der Monotonie der

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