Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Gerade wollte Simon Magdalena den Vorschlag machen, sich nach einer anderen Bleibe umzusehen, als sich die Tür einen Spaltbreit öffnete und eine spitze Nase zum Vorschein kam. Sie gehörte zu einem ausgemergelten alten Weib mit strähnigen Haaren und bemerkenswertem Mundgeruch.
»Ja? Was wollt ihr?«
»Wir … suchen eine Unterkunft für die nächsten Wochen«, antwortete Simon zögernd. »Karl Gessner schickt uns, der Regensburger Floßmeister.«
»Wenn euch der Gessner schickt, soll’s mir recht sein«, knurrte die Alte und schlurfte wieder hinein. Die Tür ließ sie dabei offen.
Vorsichtig warf Simon einen Blick in das Innere der Wirtsstube. Von der niedrigen holzvertäfelten Decke hing ein riesiger ausgestopfter Wels und glotzte ihn mit bösen Augen an. In einer Ecke bollerte trotz der sommerlichen Temperaturen ein Kachelofen, um den sich eine Sitzbank spannte. Die Stühle und Tische in der Stube waren alt und zerkratzt, und außer ihnen beiden schien es zurzeit keine weiteren Gäste zu geben. Was Simon jedoch am meisten faszinierte, war die Regalwand auf der gegenüberliegenden Seite, in der sich Gegenstände befanden, die er an einem solchen Ort nicht für möglich gehalten hätte: Bücher.
Nicht zwei oder drei, sondern gleich mehrere Dutzend. Alle waren in Leder gebunden und machten einen gut erhaltenen Eindruck.
Gemeinsam mit Magdalena betrat Simon die Wirtsstubeund ging auf die Bücher zu. Mit einem Mal wusste er, dass er sich hier wohlfühlen würde.
»Wo … wo habt Ihr die her?«, fragte er die Alte, die sich mittlerweile wieder hinter die Theke verkrochen hatte und mit einem vor Dreck starrenden Tuch Gläser polierte.
»Von meinem verstorbenen Mann. Der gute Jonas war Schreiber unten an der Floßlände. Hat den Männern ihre Urkunden verfasst, bevor er bei mir eingeheiratet hat. Konnte gar nicht genug von Büchern bekommen.« Sie sah ihn misstrauisch an. »Sag bloß, du bist auch so ein Bücherwurm. Mir langt zurzeit einer von eurer Sorte.«
»Ich … verstehe nicht«, stotterte Simon.
Die Wirtin wies mit einer abfälligen Kopfbewegung auf die Ofenbank. Erst jetzt bemerkten Simon und Magdalena, dass dort jemand lag, der gerade eben mit einem rasselnden Schnarchen auf sich aufmerksam machte. Der Fremde trug weit geschnittene Pumphosen, ein von Rotwein bekleckertes weißes Rüschenhemd mit Spitzenkragen und einen taillierten purpurroten Rock, an dem silberne Knöpfe glänzten. Die auf der Tischplatte ausgestreckten Füße steckten in frisch polierten Lederstiefeln, deren Stulpen fast bis zur Sohle reichten
Verdammt, diese Aufmachung muss ein Heidengeld gekostet haben, dachte Simon. Das sind genau die Stiefel, die ich immer haben wollte!
»Fragt den Venezianer«, knurrte die Wirtin. »Der kommt auch wegen der Bücher hierher. Und wegen dem Wein und den Weibern natürlich.«
Simon musterte den Mann auf der Bank genauer. Er sah nicht aus wie ein armer Zecher, im Gegenteil, der Schlafende machte einen mehr als betuchten Eindruck, sogar sein Spitzbart war akkurat geschnitten. Das schwarzeschulterlange Haar fiel in gedrehten Locken zur Seite, die Fingernägel waren gepflegt, auf seinen Wangen zeigte sich ein zartes Rosa. Gerade als sich Simon wieder abwenden wollte, öffnete der Venezianer die Augen. Sie waren dunkel, fast ein wenig traurig, als hätten sie zu viele Dramen gelesen.
»Ah, ma che bella signorina! Sono lietissimo! Che piacere!« , nuschelte er noch ein wenig benommen, richtete sich auf und strich seinen Rock glatt. Simon wollte sich soeben verbeugen, als er merkte, dass der Venezianer nicht ihn, sondern Magdalena angesprochen hatte. Der Mann stand von der Ofenbank auf und hauchte ihr einen Kuss auf die Hand. Unvermittelt musste Magdalena kichern. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, aber der Venezianer war noch kleiner als Simon. Trotzdem – jeder einzelne der fünf Fuß vibrierte schier vor Stolz und Noblesse.
»Ich darf mich vorstellen«, sagte er, nun in fast akzentfreiem Deutsch. »Silvio Contarini aus dem schönen Venezia. Ich muss wohl ein wenig eingenickt sein.« Er machte eine kleine Verbeugung, und Magdalena bemerkte erstaunt, dass seine Haare leicht nach vorne rutschten. Offenbar trug der Mann eine Perücke.
»Gehurt und gewürfelt habt Ihr bis heute früh«, murrte die Wirtin hinter dem Tresen hervor. »Zwei Gallonen meines besten Muskatellers habt Ihr mit Euren Spezln versoffen.«
» Perdonate . Ist das genug?« Der Venezianer ließ ein paar glänzende
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