Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
venezianischen Gesandten.
»Sagt, Silvio, bei diesem Ball heute Abend«, fragte sie betont beiläufig. »Äh, wer kommt denn da so alles?«
Der Venezianer zog eine Grimasse. »Ach, die Üblichen eben. Ein paar Gesandte, Händler mit ihren fetten, geschminkten Weibern, einige wichtige Patrizier aus dem Stadtrat. Wenn der Kämmerer kommt, muss ich vielleicht auch noch über den Regensburger Schuldenberg sprechen. Madonna , es wird furchtbar langweilig!« Er fiel vor Magdalena auf die Knie. »Bitte! Tut mir den Gefallen und leistet mir Gesellschaft.«
Magdalena wog bedächtig den Kopf.
»Wer weiß, vielleicht ist das gar nicht so ein schlechter Gedanke«, murmelte sie. »Bestimmt haben diese Herren einige interessante Dinge zu erzählen.«
Nach kurzem Zögern griff die Henkerstochter nach einer kleinen roten Jacke aus Brokatstoff mit Spitzenärmeln und Pelzborte und einem weiten Reifrock. Warum sollte sie nicht einmal das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?Wenn irgendjemand ihrem Vater helfen konnte, dann waren es die Männer, die heute Abend auf dem Ball sein würden. Sie konnte womöglich Dinge erfahren, die sonst nur dem innersten Zirkel der Macht vorbehalten waren.
Noch einmal ging Magdalenas Blick zu den Spiegeln. Vor ihr stand eine Frau, die beschlossen hatte zu kämpfen.
Wenn nötig mit allen Mitteln.
Kurz nach Einbruch der Nacht erhielt Nathan Nachricht von den Freien.
Den ganzen Tag über hatte sich Simon in den Katakomben der Bettlerzunft um seine mittellosen Patienten gekümmert. Er hatte drei Kindern die Krätze vom Kopf geschabt, einem zittrigen Greis das gebrochene linke Bein geschient, etliche vereiterte Wunden mit Arnika behandelt, getrocknete Blaubeeren gegen die rote Ruhr verabreicht und fünf schlechte Zähne gezogen. Nach all den Behandlungen war er mehr als froh, als ihm der Bettlerkönig endlich mitteilte, dass ihn die Freien unten an der Floßlände treffen wollten. Nathan erklärte sich bereit, als Führer zu dienen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sich Simon auch die nächsten Tage um die kranken Bettler kümmerte.
Gemeinsam passierten sie zunächst einige unterirdische Gänge und stiegen schließlich im Keller einer Gaststube an die Oberfläche. Der Wirt schien sich nichts dabei zu denken, als Nathan mit seinem Begleiter wie aus dem Nichts hinter einem Stapel Brennholz hervorkam. Simon vermutete, dass der Mann von den Geheimgängen der Bettler wusste. Als er Nathan darauf ansprach, nickte der Bettlerkönig abfällig.
»Wenn in den Hospitälern und bei uns unten nicht genugPlatz ist, schlüpfen einige meiner Brüder in solchen lausigen Herbergen unter«, sagte er, während sie über eine Hintertür ins Freie traten. »Der Drecksack nimmt zwei Heller die Nacht, und wer nicht zahlt, den verpfeift er bei der Stadt.« Er zwinkerte. »Aber wenn uns die Büttel durch das Jakobstor vertreiben, dann schleichen wir uns beim Peterstor einfach wieder rein. Wir sind wie die Flöhe. Man kriegt uns einfach nicht los.«
Von nun an wies ihnen das helle Licht des Mondes den Weg durch die Gassen. Kein Schatten sprang aus einer Ecke hervor, kein verdächtiges Geräusch war hinter ihnen zu hören. Der Medicus war sich sicher, dass er mit Nathan an seiner Seite so behütet war wie zu Hause in seinem Schongauer Bett. Nur ein Verrückter wäre auf die Idee gekommen, den König der Bettler zu überfallen.
Während des Wegs musste Simon unaufhörlich an Magdalena denken. Als die Bettler heute Vormittag seine medizinischen Utensilien aus dem ›Walfisch‹ gebracht hatten, waren sie mit der Nachricht zurückgekommen, dass Magdalena nicht mehr in ihrer Kammer war. Noch machte sich Simon keine ernstlichen Sorgen. Gut möglich, dass sie einfach durch die Stadt gebummelt war oder eigene Erkundigungen über den Mord an ihrer Tante und ihrem Oheim einzog. Zur Sicherheit wartete ein Bettler vor der Tür des ›Walfisch‹, der Magdalena abfangen und in die Katakomben bringen sollte. Was aber, wenn die Stadtwachen sie schon als mutmaßliche Brandstifterin gefasst hatten? Und dann gab es natürlich noch eine andere Möglichkeit, die Simon stechende Bauchschmerzen bereitete …
Vielleicht hat sie sich ja einfach den ganzen Tag mit diesem mickrigen Venezianer amüsiert!
Der Medicus beschloss, dass für Eifersucht jetzt nicht dergeeignete Moment war. Vor ihnen tauchten die weitläufigen Stege der Floßlände auf. Erstaunt stellte er fest, dass die Gegend um diese Zeit menschenleer war. Nur einige
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