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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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verübeln , dachte Magdalena und eilte so schnell wie möglich an dem Mädchen vorbei.
    Sie passierten eine efeuberankte Galerie und gelangten endlich in ein Zimmer, durch dessen hohe Fenster die Sonne schien wie in eine Kirche. Im ersten Moment war Magdalena vom Licht geblendet. Doch als sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, erblickte sie ein kleines Wunder.
    Träume ich? Wie ist das möglich?
    Einige Dutzend weitere Frauen schienen mit ihr in dem Raum zu stehen. Sie alle trugen das gleiche schmutzige Leinenkleid und hatten die gleichen zerzausten schwarzen Haare. Aber dann erkannte Magdalena, dass es nur ihr eigenes Abbild war, das sie verwundert anstarrte. Überall an den Wänden hingen mannshohe Spiegel, die sie wieder und wieder reflektierten. Dazwischen reichten Schränke bis zur Decke. Einige standen offen, und Magdalena konnte darin Rüschen, Samt und prächtige Kleider erkennen. Auch auf dem runden Tisch in der Mitte, auf den Stühlen, ja sogar auf dem glänzenden Parkettboden lagen achtlos hingeworfene Kleidungsstücke. Jedes von ihnen war mehr wert, als Magdalenas Vater in einem Jahr verdiente.
    »Ich bitte um Entschuldigung«, murmelte Silvio. »Ich war mir gestern nicht sicher, was sie äh … ich anziehen sollte, und da habe ich wohl etwas Unordnung gemacht. Meine Diener hätten eigentlich aufräumen sollen …«
    Magdalena schien ihn gar nicht zu hören. Sie trat in die Mitte des Raumes und drehte sich, schneller und immer schneller. Um sie herum wirbelten Dutzende weiterer Magdalenas, ein gewaltiger Tanzsaal, der bis ins Unendliche zu reichen schien, mit ihr allein als Mittelpunkt.
    Die Henkerstochter kannte nur den kleinen trüben Taschenspiegel, den die Mutter von ihrem Vater zur Hochzeit geschenkt bekommen hatte. Das alte Ding hatte bereits einen Sprung und verzerrte Magdalenas Gesicht so stark, dass sie ihn mehr als einmal entsetzt zur Seite gelegt hatte. Wie ihr Gesicht, ihr Körper wirklich aussahen, hatte sie bislang nur im Wasser des Lechs schemenhaft erkennen können. Nun erblickte sie zum ersten Mal jene Magdalena, die die anderen jeden Tag vor Augen hatten. Erstauntfuhr sie durch ihre schwarzen Haare, ihre Finger folgten den Linien von Brauen, Nase und Lippen.
    Bin ich schön?
    Der Spiegelsaal des Venezianers war das Beeindruckendste, was Magdalena je gesehen hatte.
    »Ich habe diese Spiegel aus Venedig kommen lassen«, erläuterte Silvio und fuhr träumerisch über eine glatte silberne Oberfläche unweit der Tür. »Nirgendwo sonst werden sie in dieser Qualität hergestellt. Es freut mich, dass sie Euch gefallen.« Er klatschte in die Hände. »Aber nun wollen wir für la bella donna etwas zum Anziehen finden.«
    Zielsicher ging der Venezianer auf einige Schränke zur Rechten zu. Als er sie öffnete, erkannte Magdalena, die sich nur schwer von den Spiegeln losreißen konnte, eine Reihe von Frauenkleidern. Wohlgeordnet, so als wären sie nie getragen worden, hingen sie an einer Stange. Weit geschnittene Überröcke, enge Mieder mit bauschigen Ärmeln, zierliche Spitzenhauben, Umhänge gefüttert mit Hermelin und samtene Jäckchen mit Pelzkragen.
    »Ich habe gelegentlich Damenbesuch«, murmelte Silvio entschuldigend. »Damit die signorine sich bei mir wohl fühlen, habe ich ein paar Kleider besorgen lassen. Seht Euch ruhig ein wenig um, vielleicht ist etwas Passendes für Euch dabei.«
    Magdalena war sich im Klaren darüber, wer die Damen waren, die in diesem Haus ein und aus gingen. Kurz war sie versucht, auf der Stelle das Gebäude zu verlassen und zum ›Walfisch‹ zurückzukehren. Simon würde bestimmt schon auf sie warten, und dieses Schmierentheater hätte endlich ein Ende.
    Andererseits …
    Magdalenas Blick wanderte noch einmal zu den Spiegelnund den prächtigen, bunten Kleidungsstücken. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Röcke gesehen, geschweige denn getragen. Vielleicht könnte man Simon einfach eine Nachricht schicken, dass alles in Ordnung war und sie heute Abend wieder im ›Walfisch‹ sein würde. Oder spätestens morgen früh. Was machte es schon aus, wenn sie hier ein wenig stöberte und sich amüsierte?
    Doch dann meldete sich ihr Gewissen. Was war mit ihrem Vater? Während er in der Zelle schmachtete, ließ sie sich hier wie ein billiges Flittchen mit Kleidern bestechen und tanzte womöglich noch heute Nacht mit den reichen, mächtigen Herren Regensburgs. Sie konnte doch nicht …
    Mächtige Herren?
    Nachdenklich wandte sich Magdalena an den

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