Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Ratten huschten über die nassen Bohlen; aus der Donau, die träge an ihnen vorüberrauschte, stieg der Geruch nach Fisch, Algen und Verwesung. An den Molen lagen Flöße, die mit leisem Quietschen an den feuchten Balken hin und her scheuerten. Aus den nahegelegenen Gasthäusern tönten Lärm und Musik. Offenbar nutzten die Flößer die Nacht, um sich vor der morgigen Abfahrt noch einmal volllaufen zu lassen.
Plötzlich waren Schritte zu hören. Nathan zog Simon hinter ein paar Weinfässer, die offenbar auf ihre weitere Verschiffung warteten. Nur kurze Zeit später tauchten zwei Wachen auf, die Hellebarden über der Schulter, die unrasierten Gesichter müde und rot vom Alkohol. Gelangweilt bummelten sie über die Floßlände.
»Verdammt, was machen die hier?«, fluchte der Bettlerkönig. »Ich zahl doch nicht Unsummen an Bestechungsgeldern, damit die zwei Dorftrottel hier nach Weibern Ausschau halten!«
Simon sah ihn ungläubig an. »Du hast Bestechungsgelder …?«
»Was glaubst du denn, warum das hier so ruhig ist?«, unterbrach ihn Nathan. »Zwei Silberpfennige, damit der Molenwart seine Leute ein Nickerchen machen lässt. Allerdings nur eine halbe Stunde lang. Also Beeilung, bittschön!«
Kaum waren die beiden Wachen um die nächste Ecke gebogen, packte Nathan den verdutzten Medicus und rannte geduckt mit ihm auf eine Gruppe weiterer Fässer zu, die neben einem Lagerschuppen standen. Die Behälter waren so aufgestellt, dass zwischen ihnen eine schmale Gassefrei blieb, die von der Floßlände aus nicht einsehbar war. Am Ende des Wegs stand eine fast mannshohe Kiste. Sie war alt und mit Teer beschmiert, ein Wirrwarr verknoteter Netze quoll daraus hervor. Die Truhe roch so penetrant nach Fisch, dass sich Simon unwillkürlich die Hand vor die Nase hielt und leise würgte. Ohne auf den Gestank zu achten, hob Nathan den Deckel, der sich knarrend öffnete.
»Folg mir unauffällig und zieh nachher den Deckel hinter dir zu.«
Zu Simons Entsetzen zog sich der König der Bettler am Rand der Kiste empor und kletterte hinein. Ein Rumpeln war zu hören, dann herrschte plötzlich Stille. Ungläubig linste der Medicus ins Innere, nur um festzustellen, dass Nathan verschwunden war.
Wie zum Teufel …?
»Verflucht und zugenäht, wo bleibst du denn?«
Die Stimme des Bettlers klang seltsam hallig und weit entfernt, jedenfalls weiter weg, als die Kiste tief war. Simon hievte sich über den Rand, stieg hinein und schloss wie befohlen den Deckel. Sofort herrschte um ihn herum Dunkelheit, es stank nach Fisch und Gekröse wie im Inneren eines Walfischs. Der Medicus fühlte unter seinen Füßen einige verfilzte Netze. Als er weitertastete, merkte er, dass eines von ihnen in die Tiefe hing. Vorsichtig rutschte er auf Knien vorwärts, bis er plötzlich eine Öffnung spürte. Vor ihm auf dem Boden befand sich ein nicht mehr als hüftbreites Loch; die Netzmaschen dienten als eine Art Strickleiter, die in eine bodenlose Tiefe zu führen schien.
Simon hangelte sich an den verfilzten Schnüren nach unten, bis seine Füße endlich Grund ertasteten. Vor ihm stand Nathan und grinste. In der Hand hielt er eine brennende Laterne.
»Habschon gedacht, du hättest dich wie eine fette Brasse im Netz verfangen«, lispelte er. »Und jetzt komm endlich.«
Sie liefen einen engen Gang aus festgetretener feuchter Erde entlang, der an manchen Stellen so niedrig war, dass Simon sich ducken musste. Auch hier roch es stark nach Fisch und Algen, von irgendwoher vor ihnen wehte ein frischer Windzug. Immer wieder fielen Tropfen von der Decke und rannen Simon in den Kragen.
»Ein alter Fluchttunnel, der unter der Donau hindurchführt«, erklärte Nathan, während sie gebückt weiterliefen. »Er reicht hinüber zum Oberen Wöhrd, der Insel in der Mitte des Flusses, und von dort weiter zum nördlichen Ufer, wo das Kurfürstentum Bayern beginnt.« Er kicherte. »Die Büttel fragen sich immer, wie wir so viele Waren auf die andere Seite schmuggeln können, wo sie doch die Brücken immer brav kontrollieren. Wenn wir wollten, könnten wir ganz Regensburg leerräumen.«
Abrupt blieb der Bettler stehen, so dass Simon beinahe in ihn hineingelaufen wäre. Nathan wandte sich zu ihm um, seine Augen hatten plötzlich etwas Kaltes, das so gar nicht zu dem sonst freundlichen Gesicht passen wollte. Seine goldenen Zähne glitzerten im Licht der Laterne.
»Solltest du jemals auf den Gedanken kommen, diesen Tunnel zu verraten«, flüsterte er, »dann lass dir gesagt
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