Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
zusammenfiel.
Gefesselt und mit pochenden Kopfschmerzen kam der Fremde kurze Zeit später wieder zu sich und sah Jakob Kuisl ein paar Schritt entfernt an einem kleinen Feuer kauern. Die züngelnden Flammen tauchten den Kopf des Scharfrichters in einen rötlichen Schimmer. Blut floss in breiten Bahnen über seine rechte Gesichtshälfte, während er sich mit zusammengebissenen Zähnen die Schusswunde an seiner Wange nähte.
Als der Henker bemerkte, dass der Mann zu ihm herübersah, grinste er ihn an.
»Wird eine schöne Narbe geben«, sagte er. »Aber das ist nichts gegen die Narben, die dir bleiben, wenn’st nicht auf der Stelle ausspuckst.«
Mit einer leichten Kopfbewegung deutete er auf das Lagerfeuer. Der Blick des Mannes wanderte über die Flammen und blieb an einem gewaltigen Hirschfänger hängen, dessen Klinge zwischen den Scheiten glühte.
Der Mann beschloss zu reden.
Magdalena rannte aus der unterirdischen Kapelle hinaus, den dunklen Tunnel entlang, der über mehrere Stufen leicht bergauf führte. Plötzlich kam sie an eine Kreuzung und blieb abrupt stehen. Links und rechts zweigten weitere, schulterhohe Gänge ab; vereinzelte, flackernde Fackeln verloren sich in der Dunkelheit.
Wo war sie? Welchen Gang sollte sie nehmen?
Spontan beschloss sie, sich nach links zu wenden. Der Gang krümmte sich und endete schon nach wenigen Schritten in einer steinernen Kammer. Zwei Sarkophage standen in der Mitte eines annähernd würfelförmigen Raums, der aus groben Quadern erbaut war; auch hier hingen brennende Fackeln an den Wänden. Auf den Grabplatten war jeweils ein Ritter mit Schwert und vollem Harnisch abgebildet. Vorsichtig näherte sich Magdalena den tonnenschweren Särgen.
War sie etwa in einem weiteren Templergrab gefangengehalten worden?
Sie bemerkte die Marmortafel, die am Fuß des Grabmals eingelassen war, erst, als sie mit den Zehen dagegenstieß. Leise fluchend hüpfte sie ein paarmal im Kreis. Als der Schmerz endlich nachließ, übersetzte sie ein wenig mühsam das verschnörkelte, leicht antiquiert klingende Latein auf der Tafel vor ihr.
Unter dieser Platte sind verborgen die kostbaren Gebeine der erhabenen und mächtigen Fürsten von Bayern, des Vaters Welf VI. und des dem Vater an Tugend gleichen Sohnes Welf VII.
Magdalena hielt den Atem an. Offenbar befand sie sich in der Krypta der Welfen! Einem, soviel sie wusste, mächtigen Adelsgeschlecht, das vor langer Zeit über Bayern geherrscht hatte. Ihr Gefängnis, die Kapelle, musste demzufolge die dazugehörige Grabkapelle sein! Doch sie hatte keine Ahnung, wo sich das Grabmal der Welfen befand. In München? In Nürnberg?
Vielleicht... in Augsburg?
Jetzt erst bemerkte sie das leise Summen, ein Raunen und Singen, ähnlich dem, das sie unter dem Augsburger Dom gehört hatte. Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie einen leichten Schimmer an der Decke der Kammer ausmachen. Licht fiel durch Ritzen, die den Umriss einer rechteckigen Platte bildeten. Von dorther kamen die Töne. Magdalenas Herz begann zu klopfen. Nur wenige Meter über ihr waren Menschen, die ihr helfen konnten! Mönche vielleicht, die einen Choral anstimmten, oder die Besucher einer Messe bei ihrem Abschlusslied. Sie wollte schon um Hilfe schreien, doch dann hielt sie plötzlich inne.
Was, wenn das über ihr nur eine weitere Versammlung dieser Wahnsinnigen war? Das geheime Treffen dieses Ordens von Mördern und Fanatikern, an dessen Spitze offenbar der Augsburger Bischof stand?
Magdalena entschied sich zu schweigen und zunächst die anderen Gänge abzusuchen.
Als sie zurück an die Kreuzung kam, hörte sie zum ersten Mal das Geräusch.
Es klang wie ein Schlurfen von der Kapelle her, ein kaum wahrnehmbares Schleifen und Schaben. Magdalena erschrak. War Bruder Jakobus doch nicht tot? War das vielleichtsein Geist, ein Racheengel, der ihr hinterherschlich? Die Henkerstochter schüttelte sich wie nach einem bösen Traum.
Du siehst bereits Gespenster, das ist alles …
Diesmal nahm sie den rechten Gang. Er führte nach einigen Windungen zu einer steinernen Wendeltreppe, die sich steil nach oben schraubte. Wieder erklang dieses Schlurfen hinter ihr. Sie beschloss, es nicht weiter zu beachten, und eilte die Treppe hinauf, wobei sie jeweils mehrere Stufen auf einmal nahm.
Der Gang endete vor einer fleckigen Holzwand.
War sie in eine Sackgasse geraten? Magdalena stand da und lauschte. Wieder war da dieses Geräusch, sie konnte es jetzt ganz deutlich
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