Die Henkerstochter
versteinert am Ratstisch saß. »Es sieht so aus, als müsstet Ihr Euch schnell entscheiden.«
Die Buben, die unten am Hoftor spielten, sahen den Grafen als Erstes. Der kurfürstliche Stellvertreter kam über die Altenstadter Straße heran. Er reiste in einer prächtigen Kutsche, die von vier Pferden gezogen wurde. An seiner Seite ritten jeweils sechs Soldaten in vollem Kürass, mit offenen Helmen, Pistolen und Degen. Der vorderste Soldat trug ein Horn, mit dem er die Ankunft des Grafen ankündigte. Hinter der Kutsche fuhr ein zweiter Wagen, auf dem die Bediensteten und die Truhen mit dem Nötigsten Seiner Exzellenz befördert wurden.
Das Tor war um diese Zeit bereits geschlossen, doch nun wurde es schnell noch einmal geöffnet. Die Hufe der Pferde klackten über die Pflastersteine; die meisten der Bürger, die sich für das Fest auf dem Marktplatz versammelt hatten, liefen nun hinunter zum Tor, um die Ankunft des hohen Herrn mit einer Mischung aus Bewunderung und Skepsis zu beobachten. Nur noch selten kamen solch feine Herrschaften in das kleine Schongau. Früher hatte sich der Herzog hier öfter blicken lassen, doch das war lange vorbei. Jetzt war jeder Adlige, der die Stadt besuchte, ein willkommenes Spektakel, das den Alltag unterbrach. Gleichzeitig wussten die Bürger, dass Graf und Soldaten ihre wenigen Vorräte verfressen würden. Im Großen Krieg waren Söldnerheere mehr als einmal wie die Heuschrecken über die Stadt hergefallen. Aber vielleicht blieb der hohe Herr ja nicht so lange …
Schon bald hatte sich eine Gasse aus Menschen gebildet, durch die der Tross langsam Richtung Marktplatzzog. Die Leute tuschelten und flüsterten und zeigten auf die mit Silberbeschlägen verzierten Truhen, in denen der Graf wohl seinen wertvollen Hausrat transportieren ließ. Die zwölf Soldaten blickten stur geradeaus. Der Graf selbst war wegen eines roten Damastvorhangs an der Kutschentür nicht zu sehen.
Am Marktplatz angekommen, blieb die Kutsche direkt vor dem Ballenhaus stehen. Die Abenddämmerung hatte sich bereits über die Stadt gelegt. Doch die Birkenscheite in den Glutpfannen loderten, und so konnten die Umstehenden beobachten, wie eine mit grünem Wams bekleidete Gestalt aus der Kutsche stieg. An der rechten Seite des Grafen baumelte ein Zierdegen; sein Bart war fein gestutzt, die langen, seidigen Haare gekämmt. Die hohen Lederstiefel blitzten sauber poliert. Er blickte kurz in die Menge, dann schritt er auf das Ballenhaus zu, vor dessen Eingang sich die Ratsherren bereits versammelt hatten. Die wenigsten hatten es noch geschafft, sich in der Kürze der Zeit standesgemäß umzukleiden. Bei einigen lugte ein Fetzen Hemd unter dem Wams hervor, die Rockknöpfe waren schief zugeknöpft. Manch einer fuhr sich noch durchs wirre Haar.
Bürgermeister Karl Semer schritt auf den kurfürstlichen Stellvertreter zu und reichte ihm zögerlich die Hand.
»Wir haben sehnlichst Eure Ankunft erwartet, Exzellenz«, begann er leicht stotternd. »Wie schön, dass Euer Eintreffen sich mit dem Maifest verbinden lässt. Schongau ist stolz, mit Euch den Beginn des Sommers feiern zu dürfen, und ... «
Der Graf unterbrach ihn mit einer unwirschen Handbewegung und ließ seinen Blick gelangweilt über die grob gezimmerten Tische, den Maibaum, die kleinen Feuer und die Holzbühne schweifen. Es war offensichtlich, dass er bereits größere Feste erlebt hatte.
»Nun, auch ich freue mich, mein Schongau einmal wiederzusehen«, sagte er schließlich. »Wenn auch der Anlass ein trauriger ist ... Hat die Hexe denn bereits gestanden?«
»Nun, leider ist sie bei der letzten Befragung listigerweise in Ohnmacht gefallen«, meldete sich jetzt der Schreiber Johann Lechner zu Wort, der gemeinsam mit Jakob Schreevogl durch das Tor des Ballenhauses zur Gruppe gestoßen war. »Aber wir sind zuversichtlich, dass sie bis morgen wieder zu sich kommt. Dann können wir mit den Befragungen fortfahren.«
Der Graf schüttelte missbilligend den Kopf.
»Ihr wisst selber, dass wir für die peinliche Befragung einen Permiss aus München brauchen. Ihr hattet keinerlei Recht, schon vorher anzufangen.« Er drohte halb ernst, halb spielerisch mit dem Finger.
»Euer Exzellenz, wir dachten den Vorgang beschleunigen zu können, indem ...«, fing der Gerichtsschreiber an, wurde aber sofort wieder vom Grafen unterbrochen.
»Nichts da! Erst den Permiss! Ich lass mich doch auf keine Händel mit den Münchner Hofräten ein! Ich schicke einen Boten, sobald ich mir
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