Die Henkerstochter
goldbehängten Weste. Als Bierbrauer und Wirt des ersten Gasthauses am Platz war er es nicht gewohnt, auf Widerspruch zu stoßen. Hilfesuchend wandte er sich an den Gerichtsschreiber zu seiner Linken. Johann Lechner sprang gerne ein.
»Sie ist vor der Mordnacht des Öfteren mit dem Jungen gesehen worden. Außerdem gibt es Frauen, die bezeugen, dass sie mit dem Peter und anderen Kindern in ihrer Stube den Hexensabbat gefeiert hat. «
»Wer bezeugt das? «
Der junge Schreevogl ließ nicht locker. Tatsächlich konnte Johann Lechner zu diesem Zeitpunkt keine einzige dieser Frauen mit Namen benennen. Doch hatten ihm die Gassenwächter berichtet, dass in den Wirtsstuben derartige Gerüchte verbreitet wurden. Und er wusste, wer dafür in Frage kam. Es würde ein Leichtes sein, Zeugen zu finden.
»Wartet den Prozess ab. Ich will nicht vorausgreifen«, sagte er.
»Vielleicht kann die Stechlin ja vom Kerker aus diese Zeugen tothexen, wenn sie erfährt, wer sie beschuldigt«, mischte sich ein weiteres Ratsmitglied ein. Der Bäcker Michael Berchtholdt war Mitglied des Äußeren Rats. Für Lechner war er genau einer derjenigen, denen er solche Gerüchte zutraute. Andere Herren nickten, sie hatten von solchen Vorfällen gehört.
»Ach, Unsinn! Das sind doch Hirngespinste. Die Stechlin ist eine Hebamme, weiter nichts!« Jakob Schreevogl war aufgesprungen. »Denkt dran, was vor siebzig Jahren hier passiert ist. Die halbe Stadt hat damals die andereHälfte der Hexerei bezichtigt. Viel Blut ist geflossen. Wollt ihr, dass sich das wiederholt?«
Ein paar der einfachen Gemeinderatsmitglieder fingen zu tuscheln an. Damals hatte es vor allem die weniger betuchten Bürger getroffen, Bauern, Mägde, Knechte … Aber auch Wirtinnen und Frauen von Richtern waren darunter gewesen. Unter der Folter hatten die Verdächtigten gestanden, Hagel gezaubert, Hostien geschändet, ja sogar ihre eigenen Enkelkinder umgebracht zu haben. Die Angst saß noch immer tief. Johann Lechner erinnerte sich, dass sein Vater früher oft davon erzählt hatte. Die Schande von Schongau, ewig würde sie in den Geschichtsbüchern stehen …
»Ich glaube kaum, dass du dich daran erinnern kannst. Und jetzt setz dich, Schreevöglein«, sagte eine leise, aber durchdringende Stimme. Sie verriet, dass ihr Besitzer schon oft Befehle gegeben hatte und nicht vorhatte, sich von einem Jungspund auf der Nase herumtanzen zu lassen.
Matthias Augustin war mit 8 1 Jahren das älteste Ratsmitglied. Jahrzehntelang hatte er über die Rottfuhrleute Schongaus geherrscht. Mittlerweile war er fast blind, doch sein Wort galt immer noch etwas in der Stadt. Zusammen mit den Semers, den Püchners, den Holzhofers und Schreevogls gehörte er zum innersten Zirkel der Macht.
Die Augen des Greises waren auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Er schien direkt in die Vergangenheit zu blicken.
» Ich kann mich erinnern«, murmelte er. Im Saal herrschte jetzt Totenstille. »Ich war damals ein kleiner Junge. Aber ich weiß, wie die Feuer brannten. Ich kann das Fleisch noch riechen. Dutzende sind damals verbrannt worden in diesem leidigen Prozess. Auch Unschuldige. Keiner hat mehr dem anderen getraut. Glaubt mir, ich willdas nicht wieder erleben. Und deshalb muss die Stechlin gestehen.«
Der junge Schreevogel hatte sich wieder hingesetzt. Bei Augustins letzten Worten sog er lautstark Luft durch die Zähne.
»Sie muss gestehen«, fuhr Augustin fort, »weil ein Gerücht wie Rauch ist. Es breitet sich aus, dringt durch die Türritzen und geschlossenen Fensterluken, und am Ende riecht die ganze Stadt danach. Lasst uns die Sache so schnell wie möglich beenden.«
Bürgermeister Semer nickte, und auch die anderen Mitglieder des Inneren Rats murmelten Zustimmung.
»Er hat recht.« Johann Püchner, dessen Mühle beim Überfall der Schweden zerstört worden war und erst seit kurzem wieder in neuem Glanz erstrahlte, lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Wir müssen das Volk ruhig halten. Ich war gestern Abend noch an der Floßlände. Da rumort’s gewaltig.«
»Das stimmt. Ich hab gestern auch mit meinen Männern geredet.« Matthias Holzhofer war ein weiterer mächtiger Händler, in dessen Auftrag Flöße bis zum Schwarzen Meer fuhren. Er spielte mit den Manschetten an seinem Wams. »Aber dort hat man eher die Augsburger Flößer im Verdacht. Schließlich hat sich der alte Grimmer des Öfteren mit denen angelegt. Vielleicht wollen sie uns schaden. Den Leuten Angst machen, dass sie in Schongau nicht
Weitere Kostenlose Bücher