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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Stadtknecht zu warten, eilte Simon zum Haus der Kratzens, das in einer schmalen Seitengasse im Lechtorviertel stand. Clemens und Agathe Kratz galten als fleißige Krämer, die es über die Jahre zu einem bescheidenen Vermögen gebracht hatten. Ihre fünf Kinder gingen alle in die Lateinschule im Ort, und sie machten keinen Unterschied zwischen ihren vier eigenen und dem Mündel Anton, der ihnen nach dem Tod seiner Eltern von der Stadt zugeteilt worden war.
    Vater Clemens Kratz saß zusammengesunken an der Ladentheke. Seine rechte Hand streichelte monoton die Schulter seiner Frau, die sich schluchzend an ihn schmiegte. Vor ihnen auf der Theke lag die Leiche des Jungen. Simon musste nicht lange hinschauen, um die Todesursache festzustellen. Jemand hatte dem kleinen Anton mit einem sauberen Schnitt die Kehle durchtrennt. Verkrustetes Blut hatte das Leinenhemd rot gefärbt. Der Blick des zehnjährigen Knaben ging starr nach oben an die Decke.
    Als man ihn eine Stunde zuvor gefunden hatte, hatte ernoch geröchelt, doch das Leben war innerhalb von Minuten aus dem kleinen Leib herausgeflossen. Stadtmedicus Bonifaz Fronwieser hatte nur noch den Tod feststellen können. Als Simon nun eintraf, war die Arbeit bereits getan. Sein Vater sah ihn nur einmal kurz von oben bis unten an, packte dann seine Instrumente zusammen und ging grußlos davon, nachdem er den Kratzens sein Beileid ausgesprochen hatte.
    Nachdem Bonifaz Fronwieser das Haus verlassen hatte, hatte Simon minutenlang schweigend am Haupt des Toten gesessen und das weiße Antlitz des Jungen betrachtet. Der zweite Tote in nur zwei Tagen ... Ob der Junge seinen Mörder gekannt hatte?
    Schließlich wandte der Medicus sich an den Kratz-Vater.
    »Wo habt ihr ihn gefunden?«, fragte er.
    Keine Antwort. Die Kratzens waren gefangen in einer Welt der Trauer und des Schmerzes, in die menschliche Stimmen nur schwer vordrangen.
    »Verzeiht, aber wo habt ihr ihn gefunden?«, wiederholte Simon.
    Jetzt erst blickte Clemens Kratz hoch. Die Stimme des Vaters war heiser vom vielen Weinen. »Draußen auf der Schwelle. Er wollte nur schnell noch hinüber zu seinen … Freunden. Als er nicht mehr wiederkam, haben wir die Tür aufgemacht, um ihn suchen zu gehen. Da lag er dann. In seinem Blut ...«
    Mutter Kratz fing wieder zu wimmern an. Hinten in der Ecke saßen auf einer Holzbank die vier übrigen Kratz-Kinder mit angstgeweiteten Augen. Die jüngste Tochter presste eine Puppe aus fleckigen Stoffresten an ihre Brust.
    Simon wandte sich an die Kinder. »Wisst ihr, wo euer Bruder noch hinwollte?«
    »Er ist nicht unser Bruder.« Die Stimme des ältesten Kratz-Sohns klang trotz Angst fest und trotzig. »Er ist ein Mündel.«
    Und das habt ihr ihn bestimmt auch oft spüren lassen, dachte Simon. Er seufzte. »Also noch mal, wisst ihr, wo der Anton hinwollte?«
    »Halt wieder zu den anderen.« Der Junge sah ihm direkt ins Gesicht.
    »Welchen anderen?«
    »Na, den anderen Mündeln. Die hab’n sich doch immer getroffen, unten am Lechtor. Da wollt er auch wieder hin. Ich hab die rote Sophie noch mit ihm gesehen beim Vieruhrläuten. Die haben’s ganz wichtig gehabt. Die Köpf haben’s zusammengesteckt wie die Rindviecher.«
    Simon musste an das kleine Mädchen denken, das er noch vor ein paar Stunden vor einer Tracht Prügel bewahrt hatte. Die roten Haare, die frechen Augen. Mit zwölf Jahren schien sich diese Sophie bereits eine Menge Feinde gemacht zu haben.
    »Das stimmt«, mischte sich jetzt der Vater ein. »Die haben sich wirklich oft getroffen, bei der Stechlin. Die Sophie und die Stechlin, das ist die gleiche Hexenbrut. Die haben ihn auf dem Gewissen! Die haben ihm auch dieses Teufelsmal gemacht, ganz sicher!«
    Mutter Kratz fing wieder zu weinen an, so dass ihr Mann sie trösten musste.
    Simon ging hinüber zur Leiche und drehte sie vorsichtig auf den Bauch. Tatsächlich befand sich auf dem rechten Schulterblatt das gleiche Symbol wie beim Grimmerjungen. Nicht mehr ganz so deutlich allerdings. Jemand hatte versucht, es wegzuwaschen. Doch die Farbe war bereits zu tief unter die Haut gedrungen. Unauslöschlich prangte es auf der Schulter des Kindes.
    Simon spürte, wie sich Clemens Kratz von hinten näherte. Hasserfüllt starrte der Vater auf das Zeichen.
    »Das hat ihm die Stechlin gemacht. Und die Sophie«, zischte er. »Ganz sicher. Brennen müssen sie, beide!«
    Der Medicus versuchte ihn zu beruhigen. »Die Stechlin ist im Loch, die kann’s nicht gewesen sein. Und die Sophie ist noch

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