Die Henkerstochter
Schwiegertochter nach Peißenberg, bis sich der Spuk gelegt hat. «
Plötzlich blieb sie abrupt stehen. Ihr Blick glitt über einen zerfledderten Kalender, der auf dem Sims über dem Kamin lag.
»Natürlich«, murmelte sie. »Wie konnt ich das nur vergessen! «
»Was hast du?«, fragte Magdalena und ging zu ihr hinüber. Die Hebamme hatte in der Zwischenzeit den Kalender in die Hand genommen und blätterte hektisch darin herum.
»Hier«, sagte sie schließlich und deutete auf die vergilbte Zeichnung einer Äbtissin, die einen Krug und ein Buch in der Hand hielt. »Die heilige Walburga. Schutzpatronin der Kranken und Wöchnerinnen. Nächste Woche ist ihr Feiertag.«
»Und? «
Magdalena verstand nicht, worauf die Hebamme hinauswollte. Sie blickte ratlos auf den fleckigen Druck. Die Seite war an einer Ecke leicht versengt. Die Frau auf dem Bild hatte einen Heiligenschein; den Blick hielt sie demutsvoll gesenkt.
»Nun«, begann die Daubenbergerin. »Der Feiertag der heiligen Walburga ist der 1. Mai. Die Nacht davor nennt man deshalb auch Walpurgisnacht ...«
»Die Nacht der Hexen«, hauchte Magdalena. Die Hebamme nickte, bevor sie weitersprach.
»Glaubt man den Peitinger Bauern, dann treffen sich in dieser Nacht die Hexen im Wald oben bei Hohenfurch und buhlen um den Satan. Mag sein, dass das Zeichen zu dieser Zeit nur ein Zufall ist, merkwürdig ist es allemal.«
»Du meinst ...?«
Katharina Daubenberger zuckte mit den Schultern.
»Ich mein gar nichts. Aber bis zur Walpurgisnacht ist’s noch eine Woche. Und habt ihr nicht gestern Nacht schon wieder einen toten Jungen mit genau demselben Zeichen gefunden?«
Sie eilte in die Kammer nebenan. Als Magdalena ihr folgte, sah sie die Hebamme eilig ein paar Kleider und Decken in einen Sack stopfen.
»Was machst du?«, fragte sie erstaunt.
»Was werd ich wohl machen?«, schnaufte die alte Frau. »Packen tue ich. Ich geh zu meiner Schwiegertochter nach Peißenberg. Wenn das mit dem Morden weitergeht, magich nicht in der Nähe sein. Spätestens zur Walpurgisnacht stecken mir die Burschen den roten Hahn aufs Dach. Wenn’s wirklich eine Hex ist, die hier umgeht, mag ich nicht dafür gehalten werden. Und wenn’s keine gibt, braucht’s allemal eine Schuldige.«
Sie sah Magdalena achselzuckend an.
»Und jetzt mach, dass du rauskommst. Besser du verschwindest. Als Henkerstochter bist du in ihren Augen allemal so verrucht wie eine Hex. «
Ohne sich noch einmal umzublicken, eilte Magdalena nach draußen. Auf dem Weg hinunter zum Lech, an den Scheunen und Bauernhäusern vorbei, hatte sie das Gefühl, dass ihr aus jedem Fenster ein misstrauisches Augenpaar hinterherstierte.
Gegen zehn Uhr vormittags saß Simon an einem der hinteren Tische im Wirtshaus »Zum Stern« und löffelte gedankenverloren an einem Eintopf aus Hammelfleisch und gelben Rüben. Eigentlich hatte er keinen großen Appetit, obwohl er seit gestern Abend nichts mehr zu sich genommen hatte. Doch die Erinnerungen an die vergangene Nacht, der Anblick des jungen Kratz, das Weinen der Eltern und die Aufregung in der Nachbarschaft hatten seinen Magen zu einem kleinen Klumpen geformt, in den beim besten Willen nichts hineinging. Hier im »Stern« hatte er wenigstens die Ruhe, um über die gestrigen Ereignisse noch einmal nachzudenken.
Der Medicus ließ seinen Blick über die Wirtsstube schweifen. Gut ein Dutzend Gasthäuser gab es in Schongau, doch der »Stern« war das beste Haus am Platz. Die Tische aus Eichenholz waren sauber und glatt gehobelt, von der Decke hingen Kandelaber mit frischen Kerzen. Mehrere Mägde sorgten sich um das Wohlergehen derwenigen gutbetuchten Gäste und schenkten reichlich Wein aus Glaskaraffen nach.
Um diese Zeit hielten sich hier nur ein paar Augsburger Fuhrleute auf, die früh am Morgen ihre Fracht im Ballenhaus abgeliefert hatten. Von Schongau ging es für sie dann weiter nach Steingaden, Füssen, bis über die Alpen nach Venedig.
Die Fuhrleute schmauchten an ihren Pfeifen und hatten schon ein gehöriges Maß Wein intus. Lautes Gelächter drang zu Simon hinüber.
Beim Anblick der Fuhrleute musste Simon an die Schlägerei denken, von der ihm die Flößer unten am Lech erzählt hatten. Josef Grimmer hatte sich mit ein paar der Augsburger Konkurrenten angelegt. Hatte sein Sohn deshalb sterben müssen? Aber was war dann mit dem anderen toten Jungen? Und was hatte es mit dem Mann mit der Knochenhand auf sich, von dem ihm Sophie erzählt hatte?
Simon nippte an seinem Krug mit
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