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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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ein Kind. Glaubt Ihr wirklich, dass ein Kind ...«
    »Der Teufel ist in dieses Kind gefahren!«, schrie die Kratz-Mutter von hinten. Ihre Augen waren blutunterlaufen vom Weinen, das Gesicht blass und teigig. »Der Teufel ist hier in Schongau! Und er wird sich noch weitere Kinder holen!«
    Simon blickte noch einmal auf das verblichene Mal auf dem Rücken des Jungen. Kein Zweifel, jemand hatte erfolglos versucht, es zu entfernen.
    »Hat jemand von euch versucht, das hier abzuwaschen? «, fragte er in die Runde.
    Der Kratz-Vater schlug ein Kreuzzeichen.
    »Wir haben das Teufelszeichen nicht angerührt, so wahr mir Gott helfe!« Auch die anderen Familienmitglieder schüttelten den Kopf und bekreuzigten sich.
    Simon seufzte innerlich. Hier kam er mit Argumenten nicht weiter. Er verabschiedete sich und trat hinaus in die Dunkelheit. Hinter sich hörte er weiter das Wimmern der Mutter und die gemurmelten Gebete des alten Krämers.
    Ein Pfiff ließ Simon herumfahren. Suchend glitt sein Blick über die Gasse. An der Ecke lehnte eine kleine Gestalt an einer Hauswand und winkte.
    Es war Sophie.
    Simon sah sich um, dann trat er in die enge Gasse und beugte sich zu dem Mädchen hinunter.
    »Du bist mir das letzte Mal entwischt«, flüsterte er. »Und ich werd dir auch jetzt wieder entwischen«, entgegneteSophie. »Aber jetzt hör mir erst einmal zu. Ein Mann hat nach dem Anton gefragt, kurz bevor er abgestochen wurde.«
    »Ein Mann? Aber woher weißt du ...? «
    Sophie zuckte mit den Schultern. Ein leichtes Lächeln flog über ihre Lippen. Simon überlegte kurz, wie sie in fünf Jahren aussehen würde.
    »Wir Waisen haben unsere Augen überall. Das spart uns Schläge.«
    »Und wie sah er aus, dieser Mann?«
    »Groß. Mit Mantel und breitkrempigem Hut. Am Hut war eine Feder. Und übers Gesicht lief eine lange Narbe.« »Das ist alles?«
    »Er hatte eine Knochenhand.«
    »Erzähl mir keine Lügengeschichten!«
    »Er hat unten am Fluss ein paar Flößer nach dem Haus der Kratzens gefragt. Ich hab mich hinter den Baumstämmen versteckt. Seine linke Hand hat er immer unter dem Mantel gehabt. Aber einmal ist sie ihm rausgerutscht. Da hat sie weiß in der Sonne geleuchtet. Eine Knochenhand.«
    Simon beugte sich noch weiter hinunter und legte einen Arm um das Mädchen.
    »Sophie, ich glaub dir nicht. Am besten ist, du gehst jetzt mit mir ... «
    Sophie riss sich los. Tränen der Wut standen in ihren Augen.
    »Niemand glaubt mir. Aber es ist wahr! Der Mann mit der Knochenhand hat den Anton abgeschlachtet! Unten am Lechtor wollte er sich mit uns treffen, und jetzt ist er tot ...« Die Stimme des Mädchens ging in ein Wimmern über.
    »Sophie, wir können über alles ...«
    Mit einer Drehung entwand sich das Mädchen aus demGriff Simons und eilte die Gasse entlang. Schon nach wenigen Metern war sie in der Dunkelheit verschwunden. Als er ihr nachsetzen wollte, spürte Simon, dass an seinem Gürtel der Beutel mit den Münzen fehlte, mit denen er sich ein neues Gewand kaufen wollte.
    »Du verdammtes ...«
    Er blickte auf die Haufen von Unrat und Fäkalien in der Gasse. Dann beschloss er, diesmal auf eine Verfolgungsjagd zu verzichten. Stattdessen ging er nach Hause, um endlich einmal wieder auszuschlafen.

5
    Donnerstag,
    den 26. April Anno Domini 1659,
    7 Uhr morgens
     
    G edankenversunken ging Magdalena die schlammige Straße über die Lechbrücke Richtung Peiting. In einem Beutel, den sie über der Schulter trug, befand sich neben einigen getrockneten Kräutern das Liebfrauenpulver, das sie erst gestern gemahlen hatte. Schon vor Tagen hatte sie der alten Daubenbergerin versprochen, ihr das Pulver vorbeizubringen. Die alte Hebamme war über siebzig und nicht mehr gut zu Fuß. Trotzdem war sie in Peiting und Umgebung immer noch die Dorfhebamme, die man bei schwierigen Geburten ins Haus holte. Hunderten von Kindern hatte Katharina Daubenberger auf die Welt geholfen. Sie war berühmt für ihre Hände, mit denen sie noch den störrischsten Balg ans Licht zog; und sie galt als weise Frau, als Heilerin, misstrauisch beäugt von Pfarrern und Ärzten, aber meist treffsicher in ihren Diagnosen und Anwendungen. Magdalenas Vater hatte schon oft bei ihr Rat gesucht. Mit dem Liebfrauenpulver tat er ihr einen kleinen Gefallen, schon bald würde auch er wieder das eine oder andere Kraut von ihr brauchen.
    Als Magdalena die ersten Häuser von Peiting passierte, sah sie, dass die Bauern sich nach ihr umdrehten und tuschelten. Der eine oder andere schlug ein

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