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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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treten war nie leicht. Besonders dann nicht, wenn es mit gerade mal dreißig Jahren geschah. Der alte Schreevogl hatte sich von unten hochgearbeitet, andere aus der Hafnergilde hatten ihm den schnellen Erfolg immer geneidet. Mit Argusaugen verfolgte man nun das Schaffen seines Sohnes. Ein Fehltritt, und sie würden wie Krähen über ihn herfallen.
    Just vor dem plötzlichen Tod des Alten, der an einem Fieber verschieden war, hatte sich Jakob Schreevogl mit seinem Vater überworfen. Der Grund war eine Lappalie gewesen, eine Fuhre verbrannter Fliesen, doch der Streit war so heftig gewesen, dass Ferdinand Schreevogl kurzfristig sein Testament geändert hatte. Das Grundstück an der Hohenfurcher Steige, auf dem der Junior bereits einenweiteren Brennofen geplant hatte, war an die Kirche gegangen. Auf dem Sterbebett hatte ihm der Alte noch etwas zuflüstern wollen. Doch das Gemurmel war in ein letztes Husten übergegangen. Ein Husten oder ein Lachen.
    Jakob Schreevogl war sich bis heute nicht sicher, womit sich sein Vater von dieser Welt verabschiedet hatte.
    Die Erinnerungen an die gestrige Nacht kreisten durch Simons Kopf, der vom Alkohol pochte und schmerzte. Er würde einen Kaffee brauchen, und zwar schnell. Fragte sich nur, ob sein Vater ihm dazu Zeit ließ. Gerade eben klopfte er wieder an die Tür.
    »Ja doch!«, rief Simon und schlüpfte in die Beinkleider, während er sich zeitgleich das Wams zuknöpfte. Auf dem Weg zur Tür stolperte er über den gefüllten Nachttopf, dessen Inhalt sich über den Dielenboden ergoss. Fluchend und mit nassen Zehen zog er den Riegel zurück, als die Tür auch schon aufflog und ihn am Kopf traf.
    »Endlich! Was sperrst auch ab?«, sagte sein Vater und betrat mit schnellen Schritten Simons Zimmer. Sein Blick glitt über die Bücher auf dem Schreibtisch.
    »Wo hast du die her?«
    Simon hielt sich den schmerzenden Kopf. Dann setzte er sich aufs Bett, um seine Stiefel anzuziehen. »Willst eh nicht wissen«, murmelte er.
    Er wusste, dass sein Vater sämtliche Werke, die sein Sohn sich vom Henker auslieh, ohnehin für Teufelswerk hielt. Dass der Verfasser des zuoberst aufgeschlagenen Buches Jesuit war, machte es auch nicht besser. Athanasius Kirchner war für Bonifaz Fronwieser ebenso ein Unbekannter wie Sanctorius oder Ambroise Paré. Der Alte blieb auch hier in Schongau ein Feldchirurg, dessen Umgang mit Kranken allein auf Erfahrung mit Kriegsversehrtenberuhte. Simon erinnerte sich noch gut, wie sein Vater siedendes Öl in Schusswunden gegossen und zur Betäubung eine Flasche Branntwein gereicht hatte. Das Schreien der Soldaten hatte ihn die gesamte Kindheit begleitet. Das Schreien und die steifen Leichen, die Bonifaz Fronwieser am nächsten Tag aus dem Zelt gezerrt und mit Kalk überstreut hatte.
    Ohne seinen Vater weiter zu beachten, eilte Simon die Treppe hinunter zur Küche. Hastig griff er zum Topf neben dem Feuer, in dem noch ein Rest kalter Kaffee vom Vortag schwappte. Mit dem ersten Schluck kamen die Lebensgeister wieder. Simon wusste gar nicht, wie er früher ohne Kaffee ausgekommen war. Ein herrliches Gebräu, ein echter Teufelssaft, dachte er. Bitter und belebend. Er hatte von Reisenden gehört, dass jenseits der Alpen in Venedig und im vornehmen Paris manche Gasthäuser bereits Kaffee ausschenkten. Simon seufzte. Es würden vermutlich noch Jahrhunderte vergehen, bis es auch in Schongau so weit war.
    Sein Vater polterte die Treppe hinunter.
    »Wir müssen reden«, rief er. »Der Lechner war gestern bei mir.«
    »Der Schreiber?«
    Simon setzte den Tonbecher ab und sah seinen Vater interessiert an. »Was wollt denn der?«
    »Er hat mitbekommen, dass du dich mit dem jungen Schreevogl triffst. Und dass du in Dingen wühlst, die dich nix angehen. Er sagt, du sollst das bleiben lassen. Das führt zu nichts.«
    »Soso.« Simon nippte weiter an seinem Kaffee. Sein Vater ließ nicht locker.
    »Die Stechlin war’s, und damit ist’s gut, sagt der Lechner.«
    Der alte Fronwieser setzte sich jetzt dicht neben ihn aufdie Bank an der Feuerstelle. Die Asche war kalt. Simon roch den sauren Atem seines Vaters.
    »Hör zu«, sagte Bonifaz Fronwieser. »Ich will ehrlich sein mit dir. Du weißt, wir sind keine anerkannten Bürger in dieser Stadt, nicht mal gern gesehen. Wir sind nur geduldet, und das auch nur, weil der letzte Doktor mit der Pest zur Hölle gefahren ist und die studierten Quacksalber lieber im fernen München oder Augsburg bleiben. Der Lechner kann uns jederzeit rausschmeißen,

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