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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Weiher. Unten am Schilf entledigte er sich Hose und Wams, fröstelnd stand er am Ufer. Er atmete kurz durch, dann sprang er ohne Zögern vom Holzsteg.
    Die Kälte stach wie mit Nadelspitzen und raubte ihm für einen Moment die Sinne. Doch sie half ihm wieder klar zu denken. Nach ein paar kräftigen Schwimmzügen ließ das taube Gefühl in seinem Kopf nach, die Müdigkeit war verschwunden, er fühlte sich wieder klar und frisch. Er wusste, dass dieses Gefühl nur von kurzer Dauer war und sehr bald einer bleiernen Müdigkeit weichen würde, aber dagegen konnte man erneut antrinken.
    Jakob Kuisl hatte die ganze Nacht gesoffen. Angefangen hatte er mit Wein und Bier, in den frühen Morgenstunden war er zu Branntwein übergegangen. Mehrmals war sein Kopf nach vorne auf die Tischplatte gesunken, aber immer wieder hatte er sich aufgerichtet und den Krug von neuem angesetzt. Anna Maria Kuisl hatte ein paar Mal in die rauchgeschwängerte Küche geschaut, doch sie wusste, dass sie ihrem Mann nicht helfen konnte. Die Exzesse kamen in regelmäßigen Abständen. Klagen führte zu nichts, es hätte ihn nur wütend gemacht und zu noch mehr Trinken angestachelt. Also ließ sie ihn gewähren, sie wusste, dass es vorbeiging. Da der Henker immer alleine trank, bekamen die wenigsten Bürger von seinen Quartalsbesäufnissen etwas mit. Doch Anna Maria Kuisl konnte ziemlich genau vorhersagen, wann es wieder so weit war. Wenn eine Hinrichtung oder eine Tortur anstand, war esam schlimmsten. Manchmal schrie er dann im Delirium, die Fingernägel krallten sich in die Tischplatte, während sein Hirn von Albträumen überschwemmt wurde.
    Dank seiner Körpergröße verfügte Jakob Kuisl über eine bemerkenswerte Trinkfestigkeit. Doch diesmal schien der Alkohol nicht aus seinen Adern weichen zu wollen. Während er zum wiederholten Mal den kleinen Entenweiher durchschwamm, merkte er, wie die Angst ihn wieder einholte. Er schwang sich auf den Holzsteg, zog rasch die Kleider an und machte sich auf den Weg zurück zum Haus.
    In der Küche suchte er in den Schränken nach etwas Trinkbarem. Als er dort nicht fündig wurde, eilte er in die Apothekerkammer nebenan. Im linken oberen Fach des mannshohen Schranks stieß er auf eine Phiole, deren Inhalt giftgrün glänzte. Kuisl grinste. Er wusste, dass der Hustensaft zum größten Teil aus Alkohol bestand. Die hinzugefügten Kräuter konnten in seinem jetzigen Zustand nur gesund sein. Besonders der Schlafmohn würde sich beruhigend auswirken.
    Der Henker legte den Kopf zurück und träufelte die Flüssigkeit auf seine vorgestreckte Zunge. Jeden Tropfen des starken Gebräus wollte er auskosten.
    Das Ächzen der Tür zur Küche ließ ihn innehalten. Seine Frau stand dort, sie rieb sich verschlafen die Augen.
    »Trinkst schon wieder?«, fragte sie. »Magst nicht einmal aufhören ...«
    »Lass mich, Frau. Werd’s nötig haben.«
    Er setzte erneut an und leerte das Fläschchen auf einen Zug. Dann wischte er sich über den Mund und trat hinaus in die Küche. Er griff nach einem Kanten Brot auf dem Tisch. Seit gestern Mittag hatte er nichts mehr gegessen.
    »Musst zur Stechlin? «, fragte Anna Maria, die wusste, welch schwerer Gang ihrem Mann bevorstand.
    Der Henker schüttelte den Kopf. »Noch ned gleich«, sagte er mit vollem Mund. »Erst nach Mittag. Die hohen Herren müssen zunächst beratschlagen, wie sie mit dem Stadl verfahren sollen. Es gibt ja jetzt auch noch andere zum Verhören.«
    »Sollst die etwa auch ...? «
    Er lachte trocken. »Glaub ich kaum, dass die einen Fuhrmann von den Fuggern das Brandeisen spüren lassen. Und den Riegg Georg, den kennt hier jeder, der hat seine Fürsprecher.«
    Anna Maria seufzte. »Es trifft halt immer die armen Leut. «
    Zornig schlug der Henker auf den Tisch, so dass die Bierkrüge und Weingläser bedenklich wackelten. »Die Falschen trifft’s, nicht die Armen. Die Falschen!«
    Seine Frau legte ihm von hinten die Hände über die Schultern. »Du kannst es nicht ändern, Jakob. Lass es gut sein«, sagte sie.
    Widerwillig streifte er Anna Marias Arme von sich ab und begann die paar Meter in der Stube hin und her zu gehen. Die ganze Nacht hatte er sich den Kopf zerbrochen, wie er das Unvermeidliche abwenden könnte. Aber es war ihm nichts eingefallen, der Alkohol hatte sein Denken langsam und schwer gemacht. Es half nichts, mit dem Zwölfuhrläuten würde er Martha Stechlin foltern müssen. Wenn er nicht hinging, würde man ihn seines Amtes entheben, seine Familie und er

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