Die Henkerstochter
Peiting hat mir davon erzählt. Sie glaubt auch, dass die Morde an den Kindern irgendwie mit der Walpurgisnacht zusammenhängen. «
Ihr Vater sah sie ungläubig an. »Mit der Walpurgisnacht?«
Magdalena nickte. »Sie meint, das könne kein Zufall sein. In drei Tagen ist Hexensabbat, da tanzen und fliegen sie oben an der Hohenfurcher Steige, und ... «
Jakob Kuisl unterbrach sie unwirsch. »Und den Schmarrenglaubst du? Geh heim und kümmer dich um die Wäsch, ich brauch dich hier nicht.«
Magdalena sah ihn zornig an. »Aber du selbst hast doch gerade erzählt, dass es Hexen und Flugsalben gibt!«, rief sie und schlug mit dem Fuß gegen einen umgefallenen Birkenstamm. »Was stimmt denn nun? «
»Ich habe gesagt, die Leut erzählen sich so was. Das ist etwas anderes«, sagte Kuisl. Er seufzte, dann blickte er seine Tochter ernst an. »Ich glaub, dass es böse Menschen gibt«, fuhr er fort. »Ob das nun Hexen oder Pfaffen sind, ist mir einerlei. Und ja, ich glaub, dass es Tränke und Salben gibt, die einen glauben lassen, man wär eine Hexe. Die einen bös machen und rollig wie eine Katze. Elixiere, die einen von mir aus auch fliegen lassen.«
Magdalena nickte. »Die Daubenbergerin weiß, welche Zutaten so eine Flugsalbe enthält.« Sie fing flüsternd an aufzuzählen. »Nieswurz, Alraune, Stechapfel, Bilsenkraut, Schierling, Tollkirsche ... Die Alte hat mir viele Kräuter im Wald gezeigt. Sogar ein Christophskraut haben wir einmal gefunden.«
Jakob Kuisl schaute ungläubig.
»Ein Christophskraut? Bist du sicher? Mein ganzes Leben hab ich noch keines gesehen.«
»Bei der Heiligen Jungfrau, es ist wahr! Glaub mir, Vater, ich kenne jedes Kraut hier in der Gegend. Du hast mich viel gelehrt, und die Daubenbergerin hat mir den Rest gezeigt!«
Jakob Kuisl sah sie skeptisch an. Dann befragte er sie nach einigen Kräutern. Sie wusste alle. Als sie alles zu seiner Zufriedenheit beantwortet hatte, erkundigte er sich nach einer bestimmten Pflanze und ob sie wüsste, wo man sie finden könne. Magdalena dachte kurz nach, dann nickte sie.
»Führ mich hin«, sagte der Henker. »Wenn’s wahr ist, erzähl ich dir, was ich vorhab.«
Nach gut einer halben Stunde Fußmarsch hatten sie ihr Ziel erreicht. Eine schattige Lichtung im Wald, umsäumt von Schilf. Vor ihnen lag ein ausgetrockneter Weiher, in dem Grasinseln aufragten. Dahinter war eine feuchte Wiese, auf der an manchen Stellen etwas Violettes aufleuchtete. Es roch nach Moor und Torf. Jakob Kuisl schloss die Augen und sog den Duft des Waldes ein. Zwischen harzigen Kiefernnadeln und feuchtem Moosgeruch lag das feine Aroma von etwas anderem.
Sie hatte recht gehabt.
Simon Fronwiesers Zorn hatte sich ein wenig abgekühlt. Mit rotem Kopf war er nach dem Streit mit seinem Vater zunächst zum Marktplatz geeilt und hatte an einem der vielen Stände ein kurzes Frühstück aus ein paar gedörrten Apfelringen und einem Stück Brot zu sich genommen. Während er auf den zähen, süßen Ringen herumkaute, verrauchte seine Wut mehr und mehr. Es hatte einfach keinen Sinn sich über seinen Vater aufzuregen. Sie waren einfach zu verschieden. Viel wichtiger war es, kühl nachzudenken. Die Zeit drängte. Simon runzelte die Stirn.
Der Patrizier Jakob Schreevogl hatte ihm erzählt, dass in ein paar Tagen der kurfürstliche Pfleger in Schongau erscheinen würde, um sein Urteil zu sprechen. Bis dahin musste ein Schuldiger gefunden sein, denn die Ratsherren hatten weder Lust noch Geld, den fürstlichen Stellvertreter und seinen Tross länger als nötig durchzufüttern. Außerdem brauchte Gerichtsschreiber Lechner Ruhe in der Stadt. Sollte bis zum Auftauchen Seiner Exzellenz Wolf Dietrich von Sandizell nicht wieder Frieden herrschen, würde das die Autorität des Schreibers in Schongauerheblich schwächen. Sie hatten also noch drei, höchstens vier Tage Zeit. So lange würde der Tross mit Soldaten und Gesinde vom fernen Gut in Thierhaupten bis Schongau brauchen. War der Pfleger erst einmal hier, dann konnten weder er, Simon, noch der Henker noch der liebe Gott Martha Stechlin vor dem Feuer bewahren.
Simon stopfte sich den letzten Apfelring in den Mund und ging über den belebten Marktplatz. Immer wieder musste er Mägden und Bauersfrauen ausweichen, die sich an den Ständen um Fleisch, Eier und Karotten balgten. Die eine oder andere warf ihm einen sehnsüchtigen Blick hinterher. Ohne darauf zu achten, bog er in die Hennengasse ein, wo Sophies Zieheltern wohnten.
Das rothaarige Mädchen
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