Die Henkerstochter
Zeichen, das zerstörte Siechenhaus, wir wissen nur noch nicht, wie ...«
Simon rieb sich die Schläfen. Der Weihrauch und das lateinische Gemurmel des Pfarrers hatten ihm Kopfschmerzen bereitet.
»Ich weiß nicht mehr weiter«, sagte er. »Und die Zeit drängt. Wie lange wird die Stechlin noch ohnmächtig sein?«
Der Henker sah hoch zum Kirchturm, wo die Sonne bereits über den Dachfirst hinweggewandert war.
»Höchstens noch zwei Tage. Und dann wird auch bald der Graf Sandizell kommen, der kurfürstliche Stellvertreter.Wenn wir bis dahin keinen echten Schuldigen haben, dann machen die kurzen Prozess, dann geht’s der Hebamme an den Kragen. Die wollen den Grafen und seinen Tross so bald als möglich hier wieder raushaben, der kostet nur Geld.«
Simon stand von der Bank auf.
»Ich werde jetzt zu Jakob Schreevogl gehen«, sagte er. »Das ist die einzige Spur, die wir haben. Ich bin mir sicher, irgendetwas stimmt mit diesem Siechenhaus nicht.«
»Mach das«, knurrte Kuisl. »Ich werd noch ein Weilchen den Tabak des Teufels rauchen. Etwas Besseres zum Nachdenken gibt es nicht.«
Der Henker schloss wieder die Augen und atmete den Duft der Neuen Welt.
Der Gerichtsschreiber Johann Lechner war auf dem Weg von seiner Amtsstube hinüber zum Ballenhaus. Im Vorübergehen bemerkte er mit leisem Ungemach die tuschelnden Weiber und die murrenden Handwerker auf dem Platz. Als er an ihnen vorbeikam, gab er hier und da einen leichten Schubs oder Klaps. »Geht zurück an die Arbeit!«, rief er. »Es hat alles seine Ordnung, alles wird aufgeklärt werden. Jetzt arbeitet weiter, Bürger! Oder ich muss den einen oder anderen festsetzen lassen!«
Die Bürger schlichen in ihre Handwerksstuben zurück, die Marktfrauen sortierten weiter ihre Ware. Doch Johann Lechner wusste, dass sie wieder schwatzen würden, sobald er ihnen den Rücken gekehrt hatte. Er würde ein paar Büttel auf den Platz schicken müssen, um einem Aufruhr vorzubeugen. Es war höchste Zeit, dass dieses leidige Kapitel endlich zum Abschluss kam. Und gerade jetzt war die verdammte Hebamme nicht ansprechbar! Die Ratsherren saßen ihm im Nacken und wollten Ergebnisse sehen.Nun, vielleicht konnte er schon bald welche vorweisen. Er hatte ja noch einen zweiten Trumpf in der Hand.
Der Gerichtsschreiber eilte die Treppen des Ballenhauses nach oben in den ersten Stock, wo sich eine kleine Kammer mit einer verriegelten Tür befand. Hier sperrte man die angeseheneren Bürger ein, denen man nicht das Rattenloch im Faulturm oder den Kerker in der Fronfeste zumuten wollte. Vor der Türe war ein Büttel postiert, der Johann Lechner zunickte, bevor er das gewaltige Schloss aufsperrte und den Riegel zurückschob.
In einer Sitznische hinter einem kleinen Tisch lümmelte der Augsburger Rottführer Martin Hueber und blickte durch die Butzenscheiben hinaus auf den Platz. Als er den Schreiber kommen hörte, drehte er sich um und grinste ihn an.
»Ah, der Gerichtsschreiber! Seid Ihr endlich zur Vernunft gekommen? Lasst mich gehen, und wir werden über die Angelegenheit kein Wort mehr verlieren.«
Er stand auf und ging zur Türe, doch Lechner ließ sie vor ihm ins Schloss fallen.
»Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Martin Hueber, du bist verdächtigt, zusammen mit deinen Rottleuten Brand am Stadl gelegt zu haben.«
Martin Hueber wurde rot im Gesicht. Er schlug mit seiner breiten Hand auf den Tisch.
»Ihr wisst, dass das nicht stimmt!«
»Es hat keinen Zweck zu leugnen, ein paar der Schongauer Flößer haben dich und deine Männer gesehen.«
Johann Lechner log, ohne mit der Wimper zu zucken. Gespannt wartete er auf die Reaktion des Augsburgers.
Martin Hueber atmete tief durch, dann setzte er sich wieder hin, verschränkte die Arme vor der breiten Brust und schwieg.
Der Schreiber hakte nach: »Was sonst solltet ihr da unten um die Abendstunden noch gesucht haben? Eure Fracht hattet ihr schon nach Mittag gelöscht. Als der Stadl brannte, wart ihr plötzlich zur Stelle, also müsst ihr euch kurz vorher noch dort unten herumgetrieben haben.«
Der Rottführer schwieg weiter. Lechner ging wieder zur Tür und griff zur Klinke.
»Nun gut. Wir werden ja sehen, ob du auch unter der Folter noch so schweigst«, sagte er, während er die Klinke hinunterdrückte. »Noch heute lass ich dich in die Feste bringen; den Henker hast du ja schon unten an der Floßlände kennengelernt. Mit Freuden wird er dir ein paar Knochen brechen.«
Johann Lechner sah, wie es hinter der
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