Die Henkerstochter
Tisch, dass die Lebkuchenschüssel zitterte. »Es reicht mir mit Euren Verdächtigungen!Meine Tochter ist verschwunden, das ist alles, was zählt. Eure zerstörte Baustelle kümmert mich einen Dreck! Und jetzt verlasst mein Haus, sofort!«
Simon versuchte zu beschwichtigen. »Ich gehe doch nur jeder Spur nach, die ich finden kann. Ich weiß auch nicht, wie alles zusammenhängt. Aber irgendwie hängt alles zusammen, und der Teufel ist das Bindeglied.«
Es klopfte an der Tür.
Weil Jakob Schreevogl ohnehin aufgesprungen war, ging er die paar Schritte hin zur Tür und öffnete sie abrupt. »Was ist?«, fragte er unwirsch.
Vor der Tür stand ein kleiner Junge von vielleicht acht Jahren. Simon kannte ihn vom Sehen. Er war eines der Ganghoferkinder, dem Bäcker in der Hennengasse. Er starrte den Patrizier ängstlich von unten an.
»Seid Ihr der Ratsherr Jakob Schreevogl? «, fragte er verzagt.
»Der bin ich, was gibt’s? Mach schnell!« Schreevogl war im Begriff, die Tür wieder zu schließen.
»Der Vater von Clara Schreevogl? «, fragte der Junge weiter.
Der Patrizier hielt inne. »Ja«, flüsterte er.
»Ich soll Euch sagen, dass es Eurer Tochter gut geht.« Schreevogl riss die Tür auf und zog den Jungen zu sich heran.
»Woher weißt du das?«
»Ich ... ich ... darf es nicht verraten. Ich hab’s versprochen! «
Der Patrizier packte den Kleinen an seinem fleckigen Hemdkragen und zog ihn hoch auf Augenhöhe.
»Hast du sie gesehen? Wo ist sie?«, schrie er ihm ins Gesicht. Der Junge zappelte und versuchte sich den Armen des Mannes zu entwinden.
Simon trat hinzu. Er hielt eine funkelnde Münze in die Höhe und ließ sie zwischen seinen Fingern hin und her wandern. Der Junge erstarrte und folgte der Münze wie hypnotisiert mit seinen Blicken.
»Dein Versprechen muss dich nicht binden, es war ja kein christlicher Eid, oder?«, beruhigte er den Kleinen.
Der Junge schüttelte den Kopf. Jakob Schreevogl setzte ihn vorsichtig ab und blickte nun erwartungsvoll zwischen Simon und dem Jungen hin und her.
»Nun«, fragte Simon weiter. »Wer hat dir also erzählt, dass es Clara gut geht?«
»Die ...die Sophie war’s«, flüsterte der Knabe, ohne die Münze aus den Augen zu lassen. »Das rothaarige Mädchen. Unten an der Floßlände hat sie’s mir erzählt, gerade eben. Einen Apfel hab ich bekommen, dafür, dass ich’s ausricht. «
Simon streichelte dem Jungen beruhigend über den Kopf. »Das hast du gut gemacht. Und hat dir die Sophie auch gesagt, wo die Clara gerade ist? «
Der Junge schüttelte ängstlich den Kopf. »Das war alles, was sie gesagt hat. Ich schwör’s, bei der Heiligen Mutter Gottes!«
»Und die Sophie? Wo ist die jetzt?«, fragte Jakob Schreevogl dazwischen.
»Die ... die ist gleich wieder weg, über die Brücke auf den Wald zu. Als ich ihr hinterhergeschaut hab, hat sie einen Stein nach mir geworfen. Dann bin ich gleich hierher zu Euch.«
Simon sah Jakob Schreevogl von der Seite an. »Ich glaube, er spricht die Wahrheit«, sagte er. Schreevogl nickte.
Als Simon dem Kleinen die Münze zustecken wollte, fuhr der Patrizier dazwischen und griff selbst in seineBörse. Er zog einen glänzenden Silberpfennig hervor und reichte ihn dem Jungen.
»Der hier ist deiner«, sagte er. »Und noch einmal so viel, wenn du herausfindest, wo die Sophie oder meine Clara sich aufhalten. Wir wollen der Sophie nichts Böses, verstehst du? «
Der Junge griff nach der Münze und umschloss sie mit seiner kleinen rechten Faust.
»Die ... die anderen Kinder sagen, die Sophie ist eine Hex und wird bald verbrannt, zusammen mit der Stechlin ...«, murmelte er.
»Du musst nicht alles glauben, was die anderen Kinder sagen.« Jakob Schreevogl gab ihm einen Stups. »Und jetzt lauf. Und denk dran, das ist unser Geheimnis, ja?«
Der Junge nickte. Sekunden später war er mit seinem Schatz hinter der nächsten Hausecke verschwunden.
Jakob Schreevogl schloss die Tür und blickte Simon an. »Sie lebt«, flüsterte er. »Meine Clara lebt! Ich muss es gleich meiner Frau erzählen. Entschuldigt mich.«
Er eilte die Stufen nach oben. Auf der Mitte der Treppe hielt er noch einmal inne und sah auf Simon hinunter.
»Ich schätze Euch, Fronwieser«, sagte er. »Nach wie vor. Findet den Teufel, und ich werde Euch reich belohnen.« Er lächelte, als er weitersprach. »Bei Gelegenheit könnt Ihr Euch gerne in meiner kleinen Hausbibliothek umschauen. Ich glaube, es gibt dort einige Bücher, die Euch interessieren könnten.«
Dann
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