Die Henkerstochter
Stirn des Rottführers arbeitete. Er biss sich auf die Lippen. Schließlich brach es aus ihm heraus.
»Es stimmt, wir waren da!«, rief er. »Aber doch nicht, um den Stadl niederzubrennen! Da waren doch auch unsere Waren drin!«
Johann Lechner wandte sich wieder dem Tisch zu. »Und? Was wolltet ihr? «
»Den Schongauer Flößern eine Abreibung verpassen, das wollten wir! Oben im ›Stern‹ hat euer Rottmann Josef Grimmer einen von den Unsrigen so dermaßen verprügelt, dass er nie mehr wird arbeiten können! Wir wollten euch gehörig einreiben, dass so etwas nicht mehr vorkommt, aber bei Gott, wir haben den Stadl nicht angezündet! Ich schwöre es!«
Angst war in den Augen des Rottführers zu sehen. Johann Lechner durchfuhr ein Gefühl der Befriedigung, er hatte etwas geahnt, aber er hatte nicht gedacht, dass der Augsburger so schnell zusammenbrechen würde.
»Hueber, es sieht schlecht für dich aus«, fuhr er fort. »Gibt es irgendetwas, das dich entlasten könnte?«
Der Rottführer dachte kurz nach, dann nickte er.
»Doch, es gibt etwas. Als wir unten an der Floßlände waren, da haben wir ein paar Männer weglaufen sehen, so vier oder fünf. Wir dachten, das seien die Eurigen. Kurz danach hat der Stadl gebrannt.«
Der Gerichtsschreiber schüttelte traurig den Kopf, wie ein Vater, der von seinem Sohn maßlos enttäuscht ist.
»Warum hast du uns das nicht früher gesagt? Das hätte dir viel Leid erspart.«
»Aber dann hättet Ihr doch gewusst, dass wir schon vorher da gewesen sind«, seufzte Martin Hueber. »Außerdem hab ich bis vor kurzem tatsächlich geglaubt, die Männer wären von euch gewesen. Sie sahen wie Stadtknechte aus! «
»Wie Stadtknechte?«
Der Augsburger Rottführer rang nach Worten.
»So ähnlich jedenfalls. Es hat ja schon gedämmert, und sie waren weiter weg. Viel hab ich nicht gesehen. Jetzt glaub ich eher, dass es Söldner waren.«
Johann Lechner blickte ihn ratlos an.
»Söldner ...«
»Ja, die bunte Kleidung, die langen Stiefel, die Hüte. Ich glaube, einer oder zwei trugen auch einen Säbel. Ich ... ich bin mir nicht sicher.«
»Du solltest dir aber sicher sein, Hueber.«
Johann Lechner ging wieder zur Türe. »Du solltest dir sicher sein, sonst müssen wir nachhelfen. Ich gebe dir noch eine Nacht zum Nachdenken. Morgen komme ich mit Federkiel und Pergament, dann werden wir alles schriftlich festhalten. Wenn es dann noch Unklarheiten gibt, werden wir sie schnell beseitigen. Der Henker hat gerade nichts zu tun. «
Mit diesen Worten schloss er die Türe hinter sich und ließ den grübelnden Rottführer alleine. Johann Lechner schmunzelte. Mal sehen, was dem Augsburger über Nacht noch so einfiel. Auch wenn er nicht für den Stadlbrand verantwortlich sein sollte, sein Geständnis war trotzdem Gold wert. Ein Rottmann der Fugger als Rädelsführer einer Verschwörung gegen die Schongauer Fuhrleute! Die Augsburger würden bei den nächsten Verhandlungen ganz kleine Brötchen backen müssen. Vielleicht konnte er auf diese Weise sogar den Zins für die Lagerung der Augsburger Ware erhöhen. Schließlich musste der Stadl ja für teures Geld wieder aufgebaut werden. Es entwickelte sich prächtig. Jetzt musste nur noch die Hebamme gestehen, und alles wäre wieder im Lot. Der Quacksalber Fronwieser hatte gesagt, dass sie morgen, spätestens übermorgen wieder vernehmungsfähig sein würde.
Er würde Geduld brauchen.
Das Haus der Schreevogls befand sich in der Bauerngasse im Hoftorviertel, unweit des Schlosses. In dieser Gegend standen die Häuser der Patrizier, dreistöckige Prunkbauten mit geschnitzten Balkonen und Malereien an der Vorderfront. Es roch merklich besser, was vor allem daran lag, dass man weit entfernt von den stinkenden Gerbereien unten am Lech wohnte. Dienstmägde schüttelten auf den Balustraden die Bettdecken aus, Händler versorgten an der Tür die Köchinnen mit Spezereien, Geräuchertem und gerupften Gänsen. Simon klopfte mit dem Messingknauf gegen die hohe Tür. Schon nach wenigen Sekunden waren Schritte zu hören. Eine Magd öffnete ihm und führte ihn in die Eingangshalle. Kurze Zeit später näherte sich über die breite Wendeltreppe von oben Jakob Schreevogl. Besorgt blickte er auf Simon herab.
»Gibt es Neues über unsere Clara?«, fragte er. »Meine Frau liegt immer noch krank zu Bett. Ich will sie auf keinen Fall unnötig aufregen.«
Simon schüttelte den Kopf. »Wir waren heute Morgen unten an der Hohenfurcher Steige. Die Baustelle vom
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