Die Henkerstochter
Zimmerstadls zur Seite. An einer Stelle wurden bereits neue Balken aufgestellt. Gelegentlich sah einer der Männer zu ihnen hinüber und tuschelte mit seinem Nachbarn.
Simon konnte förmlich hören, was sie sich zuflüsterten: Die Henkershure und ihr Geliebter ... Der Sohn des Medicus, der mit dem Henkersmädchen ins Bett steigt und der nicht wahrhaben will, dass der Teufel sich in Schongau herumtreibt und dass die Hebamme brennen muss.
Simon seufzte. Magdalenas Ruf war ohnehin ruiniert, spätestens jetzt war es auch seiner. Er legte ihr die Hand auf die Wange und sah ihr tief in die Augen.
»Dein Vater hat mir erzählt, dass du im Wald eine Alraune gefunden hast«, sagte er. »Wahrscheinlich hast du damit der Stechlin das Leben gerettet.«
Magdalena schmunzelte.
»Das ist nur gerecht. Schließlich hat sie mir damals meines geschenkt. Ich muss eine echte Plage bei der Geburt gewesen sein, sagt die Mutter. Lag falsch herum und wollte nicht heraus. Wenn die Stechlin nicht gewesen wär, gäb’s mich nicht. Jetzt zahl’ ich’s ihr zurück.«
Schließlich wurde sie wieder ernst.
»Wir müssen zu meinem Vater und ihn warnen«, murmelte sie. »Vielleicht fällt ihm ja etwas ein, wie wir den Teufel fangen können.«
Simon schüttelte den Kopf. »Vor allem müssen wir herausfinden, mit wem sich dieser sogenannte Teufel und die anderen Söldner im Semer-Wirt getroffen haben. Ich bin mir sicher, diese Person ist der Schlüssel zu allem anderen.«
Beide verfielen in nachdenkliches Schweigen.
»Warum ist der Teufel zurückgekommen?«
»Was? « Simon fuhr aus seinen Gedanken hoch.
»Warum ist er zurückgekommen zur Baustelle?«, fragte Magdalena noch einmal. »Wenn er mit seinen Männern wirklich für die Zerstörung verantwortlich gewesen ist, warum ist er dann noch einmal dorthin gegangen? Es war doch alles getan.«
Simon runzelte die Stirn. »Vielleicht weil er etwas verloren hatte? Den Tabaksbeutel, den dein Vater gefunden hat. Er wollte nicht, dass man ihn entdeckt und Vermutungen anstellt.«
Magdalena schüttelte den Kopf.
»Das glaub ich nicht. Es war kein Monogramm auf dem Beutel, nichts, was ihn hätte verraten können. Es muss etwas anderes gewesen sein ... «
»Vielleicht hat er etwas gesucht?«, mutmaßte Simon. »Etwas, das er beim ersten Mal nicht gefunden hat.«
Magdalena war ganz in Gedanken versunken.
»Irgendetwas zieht ihn zur Baustelle«, sagte sie. »Die Daubenbergerin hat mir erzählt, an diesem Ort hätten früher Hexen getanzt. Und schon bald ist Walpurgisnacht ... Vielleicht ist’s ja wirklich der Teufel.«
Beide schwiegen wieder. Die Sonne war für den Monat April fast zu heiß, sie wärmte den Stapel Balken, auf dem sie saßen. Von fern drangen die Rufe der Flößer zu ihnen herüber, die auf dem Fluss Richtung Augsburg trieben. Das Wasser glitzerte wie flüssiges Gold. Mit einem Mal wurde Simon alles zu viel, die Flucht, das ständige Fragen, das Grübeln, die Angst …
Er sprang auf, nahm Magdalenas Korb und rannte flussaufwärts.
»Wo willst du hin?«, rief sie.
»Kräuter sammeln, mit dir. Komm, die Sonne scheint, und ich kenn ein lauschiges Plätzchen.«
»Und mein Vater?«
Er schwenkte ihren Korb und lächelte sie an.
»Der kann warten. Du hast doch selbst gesagt, dass er weder Tod noch Teufel fürchtet.«
Unter den misstrauischen Blicken der Fuhrleute lief sie ihm nach.
Die Dämmerung streckte ihre Finger aus und legte sich vom Westen kommend über die Wälder rund um Schongau. Die Hohenfurcher Steige lag vollständig im Dunkel, und so war der Mann, der sich jetzt vom Westen näherte, zwischen den Büschen am Rand der Rodung kaum auszumachen. Er hatte sich gegen die Straße entschieden und war immer parallel zu ihr durchs hohe Dickicht gegangen.So dauerte der Weg zwar fast doppelt so lang, aber er konnte sicher sein, dass ihn keiner sah. Die Tore der Stadt waren schon vor einer halben Stunde geschlossen worden; die Wahrscheinlichkeit, jetzt noch jemanden hier draußen anzutreffen, war äußerst gering. Doch der Mann wollte kein Risiko eingehen.
Seine Schultern schmerzten vom Tragen der Schaufel, Schweiß lief ihm in Bächen über die Stirn; Dornen und Disteln hingen in seinem Mantel und hatten an manchen Stellen schon kleine Risse hinterlassen. Der Mann fluchte. Was ihn antrieb, war die Gewissheit, dass das alles bald schon ein Ende haben würde. Dann konnte er schalten und walten, wie es ihm beliebte, und es gab keinen mehr, der ihm etwas vorschrieb. Irgendwann
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