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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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eilte er nach oben ins Schlafgemach zu seiner Frau.

10
    Samstag,
    den 28. April Anno Domini 1659,
    Mittag
     
    G ut eine halbe Minute stand Simon wie gelähmt im Vorraum des Patrizierhauses. Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Schließlich fasste er einen Entschluss und rannte hinaus auf die Straße, die Bauerngasse hinunter und weiter bis zum Marktplatz. Er rempelte ein paar Marktfrauen an, warf beinahe einen Stand mit Brotlaiben um, bevor er ungeachtet der Schreie und Beschimpfungen hinter dem Ballenhaus zum Lechtor hinunter lief. Nach einigen Minuten war er an der Brücke unten am Fluss, er hastete darüber, links vorbei am abgebrannten Zimmerstadl und weiter auf die Landstraße, die von der Floßlände nach Peiting führte.
    Schon nach kurzer Zeit hatte er den Waldrand erreicht. Jetzt gegen Mittag war die Straße wie ausgestorben, die meisten Fuhrwerke hatten schon in den frühen Morgenstunden den Weg zum Fluss zurückgelegt. Leises Vogelzwitschern war zu hören, gelegentlich das Knacken von Zweigen in der Tiefe des Waldes, ansonsten war es ruhig.
    »Sophie!«
    Simons Stimme klang in der Stille hohl und dünn, so als würde der Wald sie schon nach wenigen Metern verschlucken.
    »Sophie, hörst du mich?«
    Er verfluchte sich selbst für seine Idee. Das Mädchen mochte vor einer knappen halben Stunde in dieser Richtung in den Wald gelaufen sein, doch dass sie ihn jetzt noch hörte, war eher unwahrscheinlich. Sie konnte schon weit, weit entfernt sein. Außerdem, wer sagte denn, dass sie ihn hören wollte ? Gut möglich, dass sie gerade jetzt irgendwo auf einem Ast saß und ihn beobachtete. Sophie war geflohen, sie stand im Verdacht, sich gemeinsam mit der Hebamme der Hexerei schuldig gemacht zu haben. Als Waise, ohne Leumund und Zeugen, die für sie sprachen, war es sehr wahrscheinlich, dass sie gemeinsam mit der Stechlin auf dem Scheiterhaufen landete, auch wenn sie erst zwölf war. Der Medicus hatte von Prozessen gehört, bei denen noch weit jüngere Kinder als Hexen verbrannt worden waren. Warum also sollte Sophie sich jetzt zu erkennen geben?
    Simon seufzte und machte auf dem Absatz kehrt. »Bleib da stehen!«
    Die Stimme war irgendwo aus der Tiefe des Waldes gekommen. Simon hielt an und drehte sich über die Schulter nach hinten um. Ein Stein traf ihn an der Seite.
    »Autsch! Verdammt, Sophie ...«
    »Dreh dich nicht um«, ertönte weiter Sophies Stimme. »Es ist nicht nötig, dass du siehst, wo ich bin.«
    Simon zuckte ergeben mit den Schultern. Die Stelle, wo ihn der Kieselstein getroffen hatte, schmerzte höllisch. Er hatte keine Lust, von einem weiteren Stein verletzt zu werden.
    » Der Junge hat gepetzt, stimmt’s?«, fragte Sophie. » Er hat erzählt, dass ich ihn geschickt hab.«
    Simon nickte. »Sei ihm nicht bös«, sagte er. »Ich hätte es sowieso erraten.«
    Er visierte einen Punkt irgendwo im Dickicht des Waldesweiter vorne an. Das half ihm, mit dem unsichtbaren Mädchen zu sprechen.
    »Wo ist Clara, Sophie?«
    »In Sicherheit. Mehr kann ich nicht sagen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil sie uns suchen. Clara und ich sind in Gefahr, auch in der Stadt. Den Anton und den Peter haben sie schon erwischt. Ihr müsst nach dem Strasser Johannes sehen, beim Wirt in Altenstadt ...«
    »Er wird vermisst«, unterbrach Simon das Mädchen. Sie schwieg lange. Simon glaubte, ein leises Schluchzen zu vernehmen.
    »Sophie, was ist passiert in jener Nacht? Ihr wart doch alle zusammen, oder? Der Peter, du, die Clara, die anderen Waisenkinder ... Was ist passiert?«
    »Ich ... ich kann es nicht sagen.« Sophies Stimme zitterte. »Es würde alles herauskommen. Wir werden brennen, alle werden wir brennen!«
    »Sophie, ich schwöre dir, ich werde mich für dich einsetzen«, versuchte Simon sie zu beruhigen. »Niemandem wird ein Leid geschehen. Niemand ... «
    Das Krachen eines Astes war zu hören. Das Geräusch kam nicht von hinten, dort wo Sophie vermutlich stand oder saß, sondern von vorne. Schräg links vor Simon, gut zwanzig Schritte entfernt, war ein Stapel Klaubholz aufgeschichtet.
    Hinter dem Stapel bewegte sich etwas.
    Simon hörte hinter sich ein Plumpsen und dann Schritte, die sich eilig entfernten. Sophie suchte das Weite.
    Nur einen Augenblick später brach hinter dem Stapel Klaubholz eine Gestalt hervor. Sie trug einen Mantel und einen breitkrempigen Hut. Kurz dachte Simon, es wäre der Henker. Doch dann zog die Gestalt einen Säbel unterdem Mantel hervor. Für einen winzigen Augenblick brach die Sonne durch

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