Die Herren der Unterwelt 02 - Schwarzer Kuss
keine Sekunde, die er mit ihr zusammen sein konnte. Er liebte das Gefühl, sie in seinen Armen zu halten und ihren Erdbeerduft einzusaugen. Sowohl William – das war die schlechte Nachricht – als auch Anya – das war die gute – schien es hervorragend zu gehen, aber er selbst konnte kaum noch seinen Rucksack tragen.
So wie jetzt.
Er spürte plötzlich Anyas Arm um seine Taille, der ihn stützte. „Alles wird gut, wenn wir erstmal oben sind, du wirst schon sehen“, versicherte sie ihm.
Panik stieg in ihm auf. Vor lauter Schwäche konnte er sich nicht mehr teleportieren. Sein Dämon hatte einige Male versucht, ihn in die Geisterwelt zu entführen, aber er hatte es nicht geschafft und nörgelte jetzt ständig herum. Der Tod versuchte, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und machte ihn damit wahnsinnig.
Ohne ihn konnte der Dämon nicht die Seelen begleiten, denn die beiden waren untrennbar miteinander verbunden. Ohne den einen konnte der andere nicht überleben. Eigentlich konnte der Tod allein überleben, aber nicht, ohne dass es negative Konsequenzen für ihn hatte, wie Lucien schon versucht hatte, Cronus klarzumachen.
Mit der Schuhspitze blieb Lucien hinter einen Eisblock hängen und geriet ins Straucheln. Das war ihm inzwischen schon häufiger passiert. Anya verstärkte ihren Griff, und schnell konnte sich Lucien wieder aufrichten. Verdammt. Cronus hatte nicht übertrieben! Wenn es so weiterging, würde er die nächste Woche nicht lebend überstehen.
„Vielleicht sollten wir ihn hier zurücklassen und allein weitergehen“, schlug William vor.
„Nein!“, riefen er und Anya gleichzeitig. Lucien wollte nicht, dass Anya ohne ihn weiterging, denn er traute William immer noch nicht über den Weg.
„Tod, wegen dir sind wir so langsam“, stellte William trocken fest. „Ich hätte große Lust, einfach nach Hause zu meinen Blutsaugern zu gehen und endlich mein Buch zu lesen.“
Tod hatte ihn der Krieger genannt. Weder er selbst noch Anya hatten William erzählt, dass er vom Todes-Dämon besessen war, nur, dass der Dämon Anya verfolgte. Woher wusste er das?
„Lass ihn einfach in Ruhe“, sagte Anya forsch. Sie hielt an und zwang William damit, dasselbe zu tun. Wütend setzte sie zu einer Schimpftirade an und schlug vor, dem Krieger einen Lockenstab rektal einzuführen und ihn auf die höchste Heizstufe zu schalten.
Lucien vermutete, dass sie das tat, um ihm einen Moment Verschnaufpause zu gönnen. Während er nach Luft rang, suchte er Halt an einem Eisvorsprung. Er hasste es einfach, dass er in dieser Situation zu schwach war, seine Frau zu beschützen. Er …
… schaute auf den Boden und entdeckte dort Fußspuren.
Seine Muskeln waren plötzlich aufs Äußerste gespannt. „Anya, sei still.“
Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn wütend an. So hatte er seit Tagen nicht mehr mit ihr gesprochen. In der letzten Zeit war er mit ihr äußerst umsichtig und liebevoll umgegangen. Er hatte sie wie ein rohes Ei behandelt, wie seinen größten Schatz. Das war sie auch, aber ihre Sicherheit lag ihm mehr am Herzen als alles andere. Jetzt konnte er keine Rücksicht auf ihre Gefühle nehmen.
„Hast du mir gerade …“
„Jäger.“ Er deutete auf den Boden und zog einen Dolch aus dem Gürtel.
Sowohl Anya als auch William stellten sich zu ihm und schauten auf den verschneiten Grund.
„Die Spuren hören genau vor dieser Bergwand auf.“ Anya runzelte die Stirn und beugte sich hinunter, um das Profil im Boden mit der Fingerspitze nachzufahren. „Aber es gibt keine Spuren, die von ihr wegführen. Das ist seltsam. Das kann gar nicht sein.“
„Sie hätten eigentlich nicht so weit kommen dürfen.“ Auch William schaute irritiert drein.
Mit einer schnellen Bewegung zog Lucien einen weiteren Dolch aus seinem Stiefelschaft. Fast ließ er ihn fallen, so schwer erschien er ihm.
„Es gibt keine andere Möglichkeit. Es muss einen Weg geben, der ins Innere des Bergs führt. Eine unsichtbare Tür vielleicht.“ Anya stand wieder auf und befühlte mit ihren Handschuhen die Bergwand nach einer verborgenen Öffnung.
Ihre Art, nicht vor einer Gefahr zu fliehen, sondern sich ihr sofort zu stellen, gefiel Lucien. Dennoch machte ihm diese Eigenart auch Angst. Diese Frau sollte doch umsorgt werden. Umsorgt, angebetet und beschützt. Sie sollte um nichts kämpfen müssen. Was auch immer sie haben wollte, sollte sie bekommen.
„Ich hab es!“ Grinsend drückte sie auf ein kristallklares Stück Eis auf ihrer
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