Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
den ausgebreiteten Flügeln, der die halbe Brust und den Hals bedeckte, schien sie direkt anzustarren, schien sie näher heranzulocken. Bislang war er ihr immer unheilvoll und brutal vorgekommen, fast wie ein Zeichen des Bösen, doch jetzt sah er zart und sanftmütig aus. Die gefärbte Haut glitzerte, als sei sie mit Rubinen, Quarzen und Saphiren besetzt. Die spitz zulaufenden, metallisch wirkenden Flügel schienen auf einmal abgerundet und sehr viel weicher.
Das habe ich früher schon einmal gesehen, dachte sie. habe das früher schon einmal gezeichnet. Oder doch nicht? Der Schmetterling hatte etwas Vertrautes an sich, doch nicht genug, um ihre Erinnerung wachzurütteln. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie das Tattoo bei einigen der anderen Krieger gesehen hatte? Jeder der Männer trug die Tätowierung an einer anderen Stelle, und bei jedem war sie anders gefärbt. Maddox war auf dem Rücken tätowiert, Lucien auf der Brust. Und Aeron am ganzen Körper, dachte sie mit Schaudern.
Unwillkürlich streckte Danika ihre zitternde Hand aus, begierig, Reyes’ Brandzeichen zu berühren, zu spüren, wie es sich anfühlte, wie warm es war. Heiß und erhaben oder kalt und glatt?
Reyes tat einen Satz zurück und prallte mit ausgebreiteten Armen gegen die Wand. Das Waschbecken wackelte, und die glitschige Seife fiel zu Boden. „Fass mich nicht an, Danika.“
Rot vor Scham und Kränkung ließ sie ihren Arm sinken. „Entschuldigung“, murmelte sie, „tut mir leid.“ Du hättest es wissen müssen. Er ist außer sich vor Wut, du musst dich in Acht nehmen.
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“ Mit abgehackten Bewegungen nahm er ein Handtuch aus dem Regal neben dem Waschbecken, bückte sich und wischte das Blut auf. „Mir tut es leid, dass du das mit ansehen musstest. Und jetzt geh bitte einfach in mein Zimmer zurück. Bitte. Ich komme gleich nach.“ Auch seine Stimme war abgehackt, ein Hinweis darauf, wie verunsichert er tatsächlich war.
„Ich helfe dir beim Aufwischen. Ich …“
„Nein!“
Er brüllte so laut, dass sie zusammenzuckte. Verdammt noch mal! Wo war ihr Mut geblieben? Was war aus ihrem Vorsatz geworden, sich bei Auseinandersetzungen nie wieder zu ducken?
Kaum dass sein Brüllen verklungen war, blieb Reyes stocksteif stehen. Dann platzte es aus ihm heraus: „Noch mal: Mir tut es leid. Du hast nichts falsch gemacht, du wolltest nur helfen. Aber ich pflege meinen Dreck selber wegzuwischen, und ich werde dir nicht erlauben, deine kostbaren Hände schmutzig zu machen.“
Kostbar? Ihre Hände? Seine Worte klangen nicht eine Spur sarkastisch, sondern durch und durch aufrichtig.
Er drehte sich um, wandte ihr den Rücken zu und wischte weiter. „Bitte, Danika, geh jetzt.“
Sie merkte, wie peinlich ihm der Vorfall war. Er schämte sich. Und sie wusste nicht, was sie sagen sollte, um ihn zu beruhigen. Ebenso wenig, was sie denken sollte, um sich selbst zu beruhigen.
Danika bewegte sich rückwärts aus dem Badezimmer, ohne Reyes, der weiterhin putzte und sie ignorierte, auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Erst als sie mit der Schulter gegen den Türrahmen prallte, wandte sie ihren Blick ab. Als sie den Flur erreichte, drückte sie sich gegen die Wand. Sie zitterte jetzt am ganzen Körper.
Am liebsten wäre sie sofort zu Ashlyn gegangen und hätte ihr das Herz ausgeschüttet, doch ihre Freundin war mit Maddox und den anderen am frühen Morgen aufgebrochen. Ashlyn sollte sich Gespräche mit anhören, hatte sie gesagt, und Danika war erstaunt gewesen, dass der überbesorgte, überfürsorgliche Maddox ihr erlaubt hatte, ihn auf die Reise zu begleiten. Danika war unschlüssig: Sollte sie Reyes gehorchen und zurück in sein Zimmer gehen? Oder lieber hier auf ihn warten? Wenn sie jetzt ginge, hätte sie Zeit, sich zu beruhigen und nachzudenken. Wenn sie blieb, könnte sie Reyes zu Torin begleiten und dabei sein, wenn er mit ihm über ihre Familie sprach.
Gib’s zu. Du machst dir Sorgen um Reyes. Du möchtest ihn am liebsten nicht aus den Augen lassen.
Sie blieb.
Eine Viertelstunde lang hörte sie seine Schritte auf dem Boden, das Geräusch von laufendem Wasser und Flüche. Obwohl ihre Gedanken in ihrem Kopf umhertosten wie ein Orkan, wurde sie seltsamerweise nicht ungeduldig,
Sie hatte einige wichtige Entscheidungen zu treffen.
Am späteren Abend musste sie dringend Stefano kontaktieren, das Gespräch war längst überfällig, das kleine Handy, das er ihr mitgegeben hatte, brannte
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