Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
als hätten sie nie existiert.
Seltsam. Abgesehen von ihren Visionen und ihrer heimlichen Malerei war sie nie ein besonders versponnener, verträumter Mensch gewesen. Nur an die Liebe hatte sie stets geglaubt – obwohl sich ihre Eltern hatten scheiden lassen, als sie gerade mal zehn war, und ihr Vater eine neue Familie gegründet hatte, ohne sich weiter um die bereits existierende zu kümmern. Aber dafür hatten sich ihre Großeltern sehr geliebt und waren erst durch den Tod getrennt worden.
Und Danika, die die Liebe noch nie am eigenen Leib erfahren hatte, hatte es immer vorgezogen, auf sie zu warten, anstatt sie – wie viele ihrer Freunde – krampfhaft zu suchen. Sie hatte gelebt, als würde sich die Zukunft endlos vor ihr ausdehnen, als hätte das Morgen mehr Gewicht als das Hier und Jetzt.
Aber mit ihrer Entführung hatte sich das jäh geändert. Ihre Welt war mit einem Schlag zusammengebrochen, und als sie die Einzelteile ihres Lebens mühsam wieder zusammengesetzt hatte, musste sie feststellen, dass die Zukunft alles andere als sicher war und dass es einzig und allein auf das Hier und Jetzt ankam.
Und hier und jetzt hatte sie Reyes.
Sie würde ihm permanent wehtun müssen, um seine Liebe zu gewinnen und ihn an sich zu binden. Früher hätte sie sich nicht einmal vorstellen können, ihm bei seinen Selbstverstümmelungen auch nur zuzuschauen. Jetzt aber … „Ich will“, sagte sie und merkte erst, als sie die Worte hörte, dass sie laut gesprochen hatte.
Er knabberte an ihrer Unterlippe. „Was? Was willst du?“ Seine Finger legten sich enger um ihre Taille, gruben sich fast in ihre Knochen.
„Dich.“ Sie bekam kaum Luft.
Die feinen Fältchen um seine Augen wurden weicher. „Du weißt nicht, was du dir da wünschst, mein Engel.“
„Dann zeig es mir.“
„Nein.“ Er presste seine Lippen wieder auf ihren Mund und schob seine Zunge unter ihre. Sein Geschmack wirkte wie eine Droge auf ihre ausgehungerten Sinne.
Wie lange war es her, seit jemand sie so in den Armen gehalten hatte? Wie lange war es her, dass sie nicht auf der Flucht war – als Spielball unbekannter Mächte?
„Wir können so nicht weitermachen.“
„Was?“ Sie schlang die Arme noch fester um ihn. „Nein!“
„Es geht nicht.“ Ein letztes Mal drückte er ihre Hüfte an seinen Körper, seine Hände waren wie Brandeisen auf ihrer Haut. Dann schob er ihre Arme weg und schaffte es endlich, sie loszulassen.
Sie öffnete blinzelnd die Augen. Er schwitzte, seine Lippen waren aufeinandergepresst, sein Atem ging unregelmäßig. Anspannung lag in seinen wunderschönen dunklen Augen – Augen, in denen sich tausend unterschiedliche Bedürfnisse widerspiegelten, die sie niemals würde erfüllen dürfen.
Diesmal schien er sie sehr wohl zu begehren, auch ohne dass sie ihm wehgetan hätte. Dabei hatte er doch gesagt, dass das unmöglich wäre. Was bedeutete das?
„Gerade jetzt kannst du keinen Mann gebrauchen, der dich permanent angrapscht.“ Er war schon ein, zwei Schritte zurückgetreten.
Sie strich sich mit den Händen über die Hüften, wobei sie sich mit den Fingernägeln bewusst die Haut aufkratzte. „Du hast mich nicht angegrapscht.“
„Aber ich hätte es gerne getan.“
Hätte sie das gestört? Nein, stellte sie überrascht fest. Er hatte ihr Hoffnung gemacht – trügerische, verhasste Hoffnung –, und sie war ihm dankbar dafür. Oder hatte sein Dämon sich wieder in ihren Geist eingeschlichen?
Er streckte seine Hand aus und strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sein Arm zitterte. „Bleib hier, mein Engel. Morgen verreisen wir, und wir werden uns schnell und ausschließlich im Schatten bewegen müssen.“
Wegen der Jäger, beendete sie schweigend seinen Satz. Wegen der Menschen, denen sie eigentlich hätte helfen sollen. Sie fühlte sich plötzlich hohl und leer, trotzdem nickte sie ihm zu.
„Wenn du doch noch Lust bekommen solltest zu malen, findest du die Sachen da drin“, sagte er und zeigte auf die entsprechende Tür.
Sie seufzte und blickte ihm nach, wie er mit seinen schweren Stiefeln aus dem Raum stapfte. Er hatte ein Messer in der Hand.
Als Reyes das Badezimmer erreichte, das zu dem leer stehenden Schlafzimmer auf der gegenüberliegenden Flurseite gehörte, sank er auf dem harten, kalten Fußboden zusammen. Er hatte sein Möglichstes getan, um seinen Dämon vor Danika zu verbergen. Er wollte nicht, dass sie ahnte, wie kurz davor er gewesen war, ihr die Kleider vom Leib zu reißen,
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