Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
ihr schon Löcher in die Tasche. Was würde er wohl tun, wenn sie nicht anrief? Was würde sie wollen, das er tat? In jedem Fall würde es nicht einfach sein, im Beisein von Reyes, der ihr offenbar die Gedanken und Bedürfnisse vom Gesicht ablesen konnte, zu telefonieren.
Oh doch, sie wollte immer noch Rache! Wenn sich herausstellte, dass Aeron ihre Großmutter tatsächlich umgebracht hatte, würde sie zu seinem Verlies zurückkehren und ihm ohne zu zögern die Kehle durchschneiden. Aber was, wenn er sie nicht getötet hatte?
„Gib bloß die Hoffnung nicht auf“, wisperte Reyes’ Stimme in ihrem Innern, obwohl sie doch beide wussten, wie heimtückisch und trügerisch Hoffnung sein konnte. Würde sie tatenlos mit ansehen können, wie die Jäger die Burg stürmten, ihre Bewohner gefangen nahmen, sie einsperrten und dann abschlachteten? Reyes würde nicht verschont bleiben. Die Jäger wollten ihn, sie hassten ihn. Und sie, Danika, würde ihn nicht warnen können, denn dann würde er die anderen warnen, was ihr Ziel, ihn aus allem herauszuhalten, vereiteln würde – immerhin das einzige Ziel, das sie klar vor Augen hatte.
Wie auch immer sie die Sache drehte und wendete, sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte. Sie fühlte sich hin und her gerissen, wie auf einem Drahtseil, ohne die leiseste Ahnung, zu welcher Seite sie herunterfallen würde. Aber irgendwann würde etwas passieren, das sie zu einer der beiden Seiten kippen ließ, bevor ein anderes Ereignis sie womöglich wieder in die andere Richtung katapultierte.
„Danika.“
Reyes’ Stimme riss sie aus ihrer Grübelei, und sie öffnete die Augen. Wann hatte sie sie geschlossen? Der Krieger, der sie in so tiefe innere Konflikte warf, stand direkt vor ihr. Er hatte sich gewaschen und dabei seine Emotionen offenbar ebenso gründlich weggeschrubbt wie das Blut. Seine Miene war vollkommen ausdruckslos, und doch begann ihr Herz zu rasen, so wie jedes Mal, wenn sie in seiner Nähe war.
„Du hast gewartet“, stellte er fest.
Sie konnte nicht erkennen, ob ihn das erfreute oder ärgerte. „Ja“, sagte sie und atmete tief den frischen Pinienduft ein, den er verströmte. Er trug ein schwarzes T-Shirt und frische Jeans. „Ich würde dich gerne begleiten und selbst mit Torin sprechen.“
Er legte den Kopf schräg und sah sie durchdringend an. „Du … du hast keine Angst vor mir?“
„Nein.“ Das war die Wahrheit. Sie war lediglich noch verwirrter als bisher.
Ihm entschlüpfte ein Seufzer, der, wenn man genau hinhörte, nach Erleichterung klang. „Ich fühle mich wieder einmal hilflos dir gegenüber.“
Genauso hilflos, wie sie ihm gegenüber war? „Ich verstehe das nicht.“ Und damit meinte sie sowohl die Bindung, die es offenbar zwischen ihnen gab, als auch ihre Scheu, sich gegenseitig zu schaden, wo sie doch genau das eigentlich tun müssten.
„Ich auch nicht.“ Er streckte seine Hand aus. „Ich nehme dich mit zu Torin, aber du darfst ihn nicht berühren. Du darfst nicht einmal in seine Reichweite kommen.“
„O…kay.“
„Ich meine es ernst. Erinnerst du dich an die Epidemie, die in Buda wütete, als du das erste Mal hier warst?“
Sie nickte und schlang ihre Finger um seine. Sofort strömte Wärme in ihren Körper.
„Ein leichter Kontakt mit Torins Haut reicht aus, um eine neue Seuche auszulösen.“
Reyes genoss die Berührung ihrer ineinander verschlungenen Finger. Jedes Mal wenn er ihre Hand ergriff, nachdem sie eine Weile allein gewesen war, fühlte sich ihre Haut eisig kalt an. Und jedes Mal ging die Kälte nach nur wenigen Sekunden des Hautkontakts als köstlich schmerzhaftes Prickeln auf ihn über.
Schmerzhaft.
Obwohl er krampfhaft versuchte, nicht an die Szene zu denken, der Danika eben beigewohnt hatte, kehrten seine Gedanken immer wieder dahin zurück. Was hatte sie angesichts seines blutigen Treibens wohl gedacht? Hielt sie ihn für ein Monster? Hatte er obendrein womöglich noch ihren Namen gestöhnt? Er war sich nicht sicher.
Als er um die nächste Ecke bog, hätte er sich am liebsten nach ihr umgedreht, versagte es sich jedoch. Sie hatte ihn im schlimmstmöglichen Zustand erlebt und war trotzdem nicht schreiend davongelaufen. Er versuchte, das als gutes Zeichen zu werten und sich damit zu beruhigen. Doch das Entsetzen, das er auf ihrem Gesicht gelesen hatte, ließ sich nicht beiseiteschieben. Es machte ihm klar, dass er Schmerz niemals in ihre Beziehung würde einbringen können. Was wiederum bedeutete, dass er
Weitere Kostenlose Bücher