Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
dort. Ich habe doch nicht … ich … habe ich …“
„Nein, du hast ihnen nichts getan. Sie warten direkt vor der Kammer, das schwöre ich.“
Vor Erleichterung ließ sie die Schultern sinken. „Danke.“ Offenbar sprach sie mit sich selbst. „Ich … oh Himmel.“
Sie muss den Jäger entdeckt haben, den sie getötet hat, dachte er.
Sie wurde wieder blass. „Er hat … so viel Blut … wie konnte ich nur …“
Sabin lehnte sich zur Seite, um ihr die Sicht zu versperren. „Hast du Durst? Oder Hunger?“
Die außergewöhnlichen Augen richteten sich auf ihn. Sie leuchteten gierig. „Du hast etwas zu essen? Richtiges Essen?“
Bei diesem Blick spannte sich jeder Muskel seines Körpers an. Es hatte schon fast etwas Euphorisches. Womöglich spielte sie ihm nur vor, an seinem Angebot interessiert zu sein, damit er sich entspannte und sie leichter entkommen konnte. Musst du wie dein Dämon sein und jeden und alles anzweifeln?
„Ich habe Energieriegel“, erwiderte er. „Ich weiß nicht, ob man das als richtiges Essen einstufen kann, aber sie halten einen bei Kräften.“ Nicht dass sie noch mehr Kraft brauchte.
Sie schloss die Augen und seufzte verträumt. „Energieriegel, das klingt göttlich. Ich habe seit über einem Jahr nichts gegessen, aber ich habe es mir oft vorgestellt. Immer und immer wieder. Schokolade und Kuchen, Eis und Erdnussbutter.
Ein ganzes Jahr ohne den kleinsten Krümel? „Sie haben euch nichts gegeben?“
Sie öffnete die dicht bewimperten Augen. Sie nickte weder, noch bestätigte sie seinen Verdacht, doch das brauchte sie auch nicht. Die Wahrheit lag klar erkennbar in ihrem grimmigen Gesichtsausdruck.
Sobald er die Jäger verhört hätte, würde jeder einzelne, den er in diesen Katakomben gefunden hatte, sterben. Durch seine Hand. Er würde sich Zeit lassen und jeden Schnitt genießen, jeden Tropfen Blut, der vergossen wurde. Dieses Mädchen war eine Harpyie, die Ausgeburt des Teufels, wie Gideon gesagt hatte, doch selbst sie verdiente es nicht, die nagende Qual des Hungerns auszuhalten. „Und wie hast du überlebt? Ich weiß, dass du unsterblich bist, aber sogar die Unsterblichen brauchen Nahrung, um bei Kräften zu bleiben.“
„Die haben irgendwas in das Belüftungssystem gespeist. Eine spezielle Chemikalie, die uns am Leben halten und gefügig machen sollte.“
„Hat bei dir wohl nicht ganz funktioniert, was?“
„Nein.“ Sie leckte sich hungrig die Lippen. „Hast du nicht was von Energieriegeln gesagt?“
„Wir müssen die Kammer verlassen, um sie zu holen. Kannst du das?“ Oder besser: Würde sie es tun? Er bezweifelte, dass er sie zu irgendetwas zwingen konnte, ohne am Ende blutüberströmt und mit gebrochenen Knochen dazuliegen – vielleicht sogar tot. Er fragte sich, wie die Jäger sie eingefangen und hierher gebracht hatten, ohne sie zu töten.
Kurz zögerte sie. Dann sagte sie: „Ja.“
Wieder bewegte Sabin sich langsam, nahm sie beim Arm und half ihr auf die Füße. Sie taumelte. Nein, wurde ihm im nächsten Moment klar, sie kuschelte sich an ihn, suchte engeren Kontakt zu seinem Körper. Er war wie erstarrt, fest entschlossen, sich der Berührung zu entziehen – auf Abstand halten, ich muss sie auf Abstand halten. Und als sie seufzte, drang ihr Atem durch die Schnitte in seinem Hemd bis an seine nackte Brust.
Nun schloss er verzückt die Augen. Er legte sogar einen Arm um ihre Taille, um sie dichter an sich zu ziehen. Vertrauensselig legte sie den Kopf an seinen Hals.
„Davon habe ich auch geträumt“, flüsterte sie. „So warm. So stark.“
Er schluckte den Kloß herunter, der ihm plötzlich im Hals zu stecken schien, und spürte, wie Zweifel in ihm unruhiger wurde und verzweifelt an den Gitterstäben seines Käfigs rüttelte. Er wollte raus und die Behaglichkeit ausmerzen, die Gwen bei Sabin verspürte.
Zu viel Vertrauen, sagte der Dämon, als wäre das eine Krankheit.
Genau die richtige Dosis, fand Sabin. Es gefiel ihm, dass eine Frau ihn als Prinz des Lichts betrachtete und nicht als König der Dunkelheit, vor dem sie schreiend davonlaufen müsste. Ihm gefiel, dass sie ihm erlaubt hatte, ihren Schmerz zu lindern.
Trotzdem war es dumm von ihr, das musste er zugeben. Sabin war niemandes Held. Er war der größte Feind eines jeden.
Ich will mit ihr sprechen!, verlangte sein Dämon und klang dabei wie ein Kind, dem ein besonderes Vergnügen vorenthalten wird.
Ruhe. Wenn Gwen an ihm zweifelte, konnte das leicht die todbringende Harpyie
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