Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
gewesen. Es gab nur noch sie zwei. Nur noch das Hier und Jetzt zählte. Er hatte sie beruhigt, gerettet, gezähmt, und jetzt, wie sie hier in seinen Armen lag, machte sich das richtige Leben davon, und die Fantasie von ihnen beiden tänzelte durch ihren Kopf. Eng umschlungene, angespannte Körper. Haut, glitschig vom Schweiß. Forschende Hände. Suchende Münder.
Sie fuhr ihm durch das seidige Haar und leckte vorsichtig seine Zunge. Zitrone. Er schmeckte nach süßen Zitronen und einem Hauch Kirsche. Ihr entfuhr ein Stöhnen. Die Wirklichkeit war ja so viel dekadenter, als sie sich hatte träumen lassen. So berauschend, so … himmlisch. Pur und gut und alles, was eine Frau von einem Liebhaber verlangen konnte. Also neigte sie den Kopf zur Seite und tat es noch einmal, versank immer tiefer und forderte schweigend mehr.
„Sabin“, flüsterte sie atemlos. Sie hätte ihn am liebsten gelobt, ihm vielleicht sogar gedankt. Niemand hatte es je geschafft, dass sie sich so beschützt fühlte, so verehrt, so sicher, so bedürftig, so unglaublich bedürftig. Nicht mit so etwas Einfachem wie mit einem Kuss. Einem Kuss, der keinen Raum für Angst ließ. Womöglich könnte sie loslassen, vielleicht sogar sie selbst sein und sich nicht länger um ihre dunkle Seite sorgen … und darum, ihn zu verletzen. „Gib mir mehr dace von.
Statt zu gehorchen, riss er den Kopf zurück und befreite sich aus ihrer Umarmung, sodass kein Körperkontakt mehr zwischen ihnen bestand. Berühr mich noch mal!, hätte sie am liebsten geschrien. Ihr Körper brauchte ihn, brauchte die Nähe.
„Sabin“, wiederholte sie und musterte ihn. Er atmete schwer, zitterte, war blass – aber alles nicht aus Leidenschaft. In seinen Augen tanzte kein Feuer, sondern Entschlossenheit.
Er hat meinen Kuss nicht erwidert. Plötzlich wurde es ihr klar. Der Nebel des Verlangens lichtete sich – genauso wie kurz zuvor der Schwindel – und ließ die harte Wirklichkeit zurück, die sie idiotischerweise vergessen hatte. Um sie herum tobten Stimmen.
„… habe ich nicht kommen sehen.“
„Hättest du aber.“
„Nicht den Kuss, du Idiot. Die Beruhigung. Ihre Augen hatten sich schon verwandelt, und sie hatte die Krallen ausgefahren. Sie stand unmittelbar davor, anzugreifen. Ich meine: Hallo? Bin ich der Einzige, der sich noch daran erinnert, was mit dem Jäger passiert ist, der ihr zu nah gekommen ist?“
„Vielleicht ist Sabin ein Tor zum Himmel so wie Danika“, kommentierte jemand trocken. „Vielleicht sah die Harpyie ein paar Engel, während sie die Mund-zu-Mund-Therapie bekam.“
Die Männer lachten.
Gwens Wangen wurden heiß. Die Hälfte von dem, was sie sagten, entzog sich ihrem Verständnis. Die andere Hälfte beschämte sie. Sie hatte einen Mann geküsst, einen Dämon, der ganz offensichtlich nichts mit ihr zu tun haben wollte – und sie hatte es vor Zeugen getan.
„Ignorier sie einfach“, meinte Sabin, dessen Stimme so kehlig war, dass sie an ihrem Trommelfell kratzte. „Konzentrier dich auf mich.“
Ihre Blicke prallten aufeinander, Braun auf Gold. Sie rutschte so weit in ihrem Sessel zurück wie möglich, um den größtmöglichen Abstand zwischen ihnen herzustellen.
„Hast du immer noch Angst vor mir?“, fragte er und neigte dabei den Kopf zur Seite.
Sie hob das Kinn. „Nein.“ Ja. Sie hatte Angst vor den Gefühlen, die er in ihr ausgelöst hatte. Angst davor, dass es erneut bedeutungslos würde, was er war. Angst davor, dass er sie niemals so begehren würde, wie sie ihn auf einmal begehrte. Angst davor, dass dieser wunderbare Beschützer nichts mehr war als ein Trugbild, unter dessen Oberfläche das Böse wartete – bereit, sie mit Haut und Haar zu verschlingen.
Du bist ja so ein Feigling. Wie zum Teufel hatte sie ihn so küssen können?
Er zog eine Augenbraue hoch. „Du würdest mich doch nicht anlügen, oder?“
„Ich lüge nie, erinnerst du dich nicht?“ Ironischerweise war das eine Lüge.
„Gut. Jetzt hör mir gut zu. Ich werde dieses Gespräch nämlich nicht zweimal führen. In meinem Körper lebt ein Dämon, ja.“ Er umfasste ihre Armlehnen so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. „Er ist da, weil ich vor vielen Jahrhunderten dummerweise dabei geholfen habe, die Büchse der Pandora zu öffnen, und damit die Geister befreit habe, die in ihr lebten. Zur Strafe verdammten die Götter mich und alle anderen Krieger, die du in diesem Flugzeug siehst, einen davon in uns zu tragen. Anfangs konnte ich diesen
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