Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
sogar sich selbst töten. War sie wirklich so dumm, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, nachdem sie die Gefangenschaft und die Herren überlebt hatte?
Logik gefunden.
Während sie allmählich ruhiger wurde, verstummte ihr gellendes Kreischen. Alle standen wie versteinert da. Gwen atmete ein und aus – oder versuchte es zumindest, denn ihre Kehle fühlte sich geschwollen an, irgendwie blockiert – und nahm erst jetzt den Alarm aus dem Cockpit wahr. Ehe sie erneut in Panik geraten konnte, flog das Flugzeug wieder ruhiger. Dann kehrte Stille ein.
„Gut gemacht. Jetzt zurück mit euch, Jungs. Ich habe sie.“ Sabin klang nicht überzeugt, sondern nur entschlossen.
Allmählich nahm sie das Licht wieder wahr und kurz darauf die Farben. Um sie herum malte das richtige Leben sein Bild. Heilige Hölle. Sie hatte den Infrarotblick gehabt, ohne es zu wissen. Die Harpyie war so kurz davor gewesen auszubrechen, es war so unfassbar knapp gewesen. Ein Wunder, dass es nicht geschehen war.
Gwen stand immer noch im hinteren Teil des Flugzeugs zwischen den roten Ledersesseln. Nur Sabin war vor ihr stehen geblieben. Die anderen waren zurückgewichen, hatten sich jedoch nicht abgewandt. Aus Angst? Oder weil sie ihren Anführer beschützten?
Sabins dunkler Blick ruhte auf ihr. Er war noch wilder als in den Katakomben, als er seine Dolche auf Männer geworfen hatte, von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie Jäger gewesen waren. Er hielt die Hände hoch, die Handflächen nach vorn. „Du musst dich noch etwas mehr beruhigen.“
Ach ja?, dachte sie trocken. Vielleicht gelang es ihr ja, wenn sie konzentriert durch die Nase atmete, aber es ging einfach noch nicht. Schwindel ergriff Besitz von ihr, während die Schwärze erneut in ihr Blickfeld trat.
„Wie kann ich dir helfen, Gwen?“ Sie hörte seine Schritte, als er zu ihr kam. Seine Wärme strömte in ihren Körper.
„Luft“, brachte sie schließlich heraus.
Sabin legte ihr die Hände auf die Schultern und drückte sie sanft nach unten. Ihre Beine waren zu schwach, als dass sie einen Widerstand hätten bieten können, und so fiel sie direkt in einen der Sessel. „Ich brauche Luft.“
Ohne zu zögern, fiel Sabin auf die Knie. Er drängte seinen großen Körper zwischen ihre Beine und nahm ihr Gesicht in die Hände, wodurch er sie zwang, ihm in die Augen zu sehen. Seine braunen Augen, mit denen er sie eindringlich ansah, wurden zum neuen Zentrum ihrer Welt, zum Anker in einem tosenden Sturm.
„Nimm meine.“ Mit dem verhornten Daumen streichelte er zärtlich ihre Wange und raute sie leicht an. „Ja?“
Nimm seine … was?, fragte sie sich, und dann war es ihr plötzlich egal. Ihre Brust! Sie zog sich so stark zusammen, dass Knochen und Muskeln eingeklemmt wurden. Ein scharfer Schmerz fuhr ihr durch die Rippen bis ins Herz, das einen Moment lang stehen zu bleiben schien. Gwen zuckte zusammen.
„Du läufst blau an, mein Schatz. Ich werde jetzt meinen Mund auf deinen legen und dir meine Luft schenken. In Ordnung?
Was, wenn das ein Trick ist? Was, wenn …
Ruhe! Selbst in ihrer Benommenheit wusste sie, dass das schaurige, geisterhafte Flüstern nicht von ihr kam. Zum Glück folgte es ihrem Befehl und schwieg. Wenn sich doch nur ihre Lunge wieder öffnen würde. „Ich … ich …“
„Du brauchst mich. Also lass es mich tun.“ Falls er Angst vor ihrer Reaktion hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Er legte ihr eine Hand in den Nacken und zog Gwen zu sich heran, während er sich gleichzeitig weiter vorbeugte. Siepressten die Lippen aufeinander – ein heißes Durcheinander. Seine warme Zunge war zwischen ihren Zähnen, und dann floss warme, minzige Luft ihre Kehle hinunter.
Instinktiv schlang sie die Arme um ihn, hielt ihn gefangen, drückte seine Brust eng an ihre, Härte gegen Weichheit. Seine Kette war kalt, das spürte sie sogar durch ihr Hemd, und sie japste. Gierig nahm sie seinen Atem auf. „Mehr.“
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er blies ihr in den Mund, und eine weitere warme, beruhigende Brise wehte durch ihren Körper. Der Schwindel nahm etwas ab, der Nebel in ihrem Kopf lichtete sich, die Dunkelheit wich wieder dem Licht. Der wilde Tanz ihres Herzens verwandelte sich in einen langsamen Walzer.
Das Bedürfnis, ihn zu küssen, richtig zu küssen und seinen Geschmack kennenzulernen, erfüllte sie vollständig. Seine Herkunft – vergessen. Seine Vergangenheit – fiel nicht ins Gewicht. Ihr Publikum – verschwunden, als wäre es nie da
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