Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
töten werde.“
Eine weitere Warnung bekam Olivia nicht. In der einen Sekunde stand Legion noch vor ihr, in der nächsten saß sie auf ihr, und sie fielen. Olivia bekam den Stoß fast alleine ab, als ihr Kopf auf die untere Kante des Kaminsimses schlug und der Sauerstoff urplötzlich aus ihren Lungen gequetscht wurde. Grelle Lichtpunkte trübten ihre Sicht, allerdings nicht stark genug, als dass sie die Zähne verdeckt hätten, die sich ihrem Hals näherten.
Am selben Tag, als die erste goldene Feder aufgetaucht war, hatte Lysander angefangen, sie auf ihre neuen Kriegerp fliehten vorzubereiten. Deshalb wusste Olivia, wie sie ihre Handfläche gegen Legions Kinn rammen und zudrücken musste, damit die Zähne der Dämonin schmerzhaft aufeinandertrafen.
Die Vorstellung, gegen Dämonen zu kämpfen, hatte ihr nie zugesagt. Vor allem nicht, als Lysander ihr gesagt hatte, dass Krieger sich vollständig von ihrer Aufgabe distanzieren müssten, bis allein die unumstößliche Entschlossenheit zurückbliebe, ihre Beute zu erledigen. Konnte sie das?
In ihren Fingern breitete sich eine nie gespürte Kälte aus, die ihre Arme hochwanderte … dann weiter in ihre Brust … und mehr als nur ihre Angst betäubte. Diese Kälte zerstörte die kläglichen Überreste ihrer Wut und riss auch das Mitgefühl und den Ekel mit sich.
Ja. Ich kann es, begriff sie. Erschreckend.
Tu, was du tun musst, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Du bist ein Engel. Sie ist ein Dämon. Lass dich von deinem Instinkt leiten. Lass den Glauben durch dich fließen.
Einen Moment lang meinte sie, Lysander stünde neben ihr. Doch dann riss Legions Knurren sie aus dem Gefühl der Erleichterung – und nichts war mehr wichtig. Olivia war bereit. Statt von Gefühlen Gebrauch zu machen, mit denen sie keine Erfahrung hatte, überließ sie sich dem, was ihrer Natur entsprach: Glaube und Liebe. So wie die Stimme sie angewiesen hatte. Das war wahre Stärke.
Mit einer einzigen Bewegung ihres Arms schleuderte sie Legion quer durchs Zimmer. Die Dämonin krachte gegen die Wand und rutschte zu Boden. Die ganze Zeit über ließ ihr roter Blick nicht von Olivia ab.
Hoch mit dir. Jetzt.
Olivia sprang auf und presste den Rücken gegen den Kamin. Zwar schränkte die neue Position ihren Bewegungsradius ein, doch sie brauchte etwas, das ihr Halt gab, wenn …
Legion machte einen Satz auf sie zu.
Wieder einmal duckte sich Olivia, und die Dämonin flog abermals gegen die Wand. Als sie abprallte, stieg der Putz in kleinen Wölkchen auf, füllte Olivias Nase und brachte sie zum Husten. Trotzdem zögerte sie nicht, auszuholen und Legion mit einem Tritt zu Boden zu befördern. Glaube – sie konnte den Kampf gewinnen. Liebe – Gut gegen Böse. Anscheinend hatte Olivia mit ihrer Ferse die Schuppen der Dämonin verletzt, denn in Höhe des Brustbeins sickerte Blut heraus.
„Ich werde nicht zulassen, dass du mir wehtust, Dämon.“
„Du wirssst mich nicht aufhalten können.“
Wieder sprang Legion auf. Wieder stürzte sie sich auf Olivia und krallte sich wie eine Kletterpflanze an ihr fest. Wieder schnappten Zähne, wieder kratzten Krallen. Olivia boxte nach links, nach rechts und nach vorne, quetschte ein Knie zwischen sie beide, um irgendwie für Abstand zu sorgen, und schaffte es nur mit Mühe und Not, sich aufrecht zu halten. Legion drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, um den Schlägen auszuweichen, doch es gelang ihr nicht immer. Ein Wangenknochen knackte. Ihre Nase brach.
Irgendwo im Raum klirrte Glas. Im nächsten Moment war eine männliche Gestalt mit dunklen Flügeln da, die den Raum mit wilden Blicken absuchte … Dann standen seine Augen still, und er fixierte die kämpfenden Frauen. Aeron. Als sich ihre Blicke trafen, schien die Zeit plötzlich stillzustehen. Seine Lippen waren schmal wie Striche, sein Blick war finster, und seine Tätowierungen waren so schwarz, dass sie wie Schatten aussahen.
Aufregung begann in Olivia hochzublubbern, und sie verlor die Konzentration. Ihre Hand prallte auf den Mund der Dämonin, ausgerechnet! Legion nutzte ihren Vorteil sofort aus und biss zu. Rasierklingenscharfe Fangzähne bohrten sich tief in Olivias Fleisch, und dicke Gifttropfen sickerten direkt in ihre Blutbahn.
Olivia schrie auf. Wie das brannte! Wie Säure und Salz und Feuer … oh Gottheit. Gleich musste sich ihre Hand in Asche verwandeln. Doch als sie hinunterblickte, stellte sie fest, dass ihre Haut kaum verletzt und die Finger nur leicht geschwollen
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