Die Herren der Unterwelt Bd. 8 - Schwarze Niederlage
KAPITEL
D ie Himmelspforte befand sich genau dort, wo sie der Kurznachricht zufolge sein sollte. Es war ein schimmerndes Luftloch zwischen zwei vereisten, mondbeschienenen Bergen. Kaias Team kauerte auf einem Felsen hoch oben und beobachtete, wartete. Bangte.
Kaia lag auf einem rutschigen Felsvorsprung. Die Kälte kroch ihr bis in die Knochen. Normalerweise machten ihr solche eisigen Temperaturen nichts aus. Aber diesmal zitterte sie, und ihre Zähne klapperten. Vermutlich hatte sich ihre Wunde entzündet, und sie hatte leichtes Fieber, aber wenigstens waren die Schmerzen weg. Die Kälte hatte die dämliche, nach wie vor klaffende Verletzung betäubt.
Um sich von so einer Verletzung zu erholen, brauchte sie Striders Blut.
Im Grunde brauchte sie einfach nur Strider. Sie hatte keine Ahnung, wie sie schon so lange ohne ihn ausgekommen war. Aber weil sie so ein ungezogenes Mädchen war, würde sie ihn nicht kriegen. Jedenfalls nicht in nächster Zeit – und vielleicht auch danach nicht. Sie konnte nur hoffen, dass er die Nachricht, die sie ihm hinterlassen hatte, bekommen hatte und bereits auf dem Weg nach Buda war. Sein Wohlergehen kam vor ihrem verständlich großen Verlangen nach ihm. Wenn auch nur ein bisschen davor!
Sie drehte an dem Rädchen ihres Fernglases, um sich die Umgebung etwas genauer anzusehen. Weiß, Weiß und noch mehr Weiß, aber bislang waren keine anderen Harpyien in Sicht. Und auch keine verräterischen Atemwölkchen. Keine hellen Flecken, die die Felsen hinunterschlichen und sich zentimeterweise der Sicherheit näherten. Kein Klicken in der Brise als Anzeichen dafür, dass irgendwer Pfeile anspitzte. Doch selbst die Stille behagte ihr nicht. Erst wenn sie den Fuß des Berges erreicht hätten und durch die Pforte träten, befänden sie sich auf neutralem Gebiet. Dann wäre niemand mehr in derLage, sie anzugreifen.
Die Frage war nur, ob sie den Fuß erreichen würden.
„Ich finde, wir sind gut“, meinte Taliyah, als sie sich das Fernglas schnappte und es über die höheren Gipfel schwenkte. „Und wir können wirklich nicht länger warten. Du und Tedra, ihr müsst dringend versorgt werden, aber hier können wir das nicht machen.“
Bianka nahm Taliyah das Fernglas aus der Hand und sah hinunter zur Ebene. „Wenn Lysander hier wäre, könnte er über uns fliegen und …“
„Schon wieder dieser Schwachsinn?“ Kaia nahm sich das Fernglas zurück und warf es sich über die Schulter. In der letzten Stunde hatte Bianka sämtliche Gründe genannt, warum es besser wäre, wenn ihre Männer hier wären. Als ob Kaia das nicht schon längst gewusst hätte, verdammt.
„He!“, beschwerte sich Neeka. „Das tat weh.“
Kaia drehte sich um und verzog das Gesicht, als sie einen stechenden Schmerz in der Seite spürte. Die hübsche Rothaarige sah sie wütend an und rieb sich die Beule, die sich über ihrem linken Auge bildete. „Ich würde mich ja entschuldigen, aber es war absolut Biankas Schuld, weil sie …“
„Pst!“ Bianka schnitt ihr das Wort ab, indem sie ihr den Mund zuhielt. Mit der freien Hand zeigte sie auf die schimmernde Pforte. „Sieh doch.“
Sie schaute hin. Die Falconways und die Songbirds hatten soeben den Gipfel des gegenüberliegenden Berges überquert und rannten nun auf die Pforte zu. Schneller … und schneller, bis sie nur noch verschwommen zu sehen waren. Niemand versuchte sie aufzuhalten, und eine nach der anderen schlüpften sie durch das schillernde Luftloch – und waren schon nicht mehr zu sehen.
Falls ihnen Jäger auflauerten, hätten sie doch wenigstens aus ihrem Versteck hervorgelugt, um zu sehen, wer auf die Pforte zulief. Oder?
„Okay“, meinte Kaia nickend. „Die Pforte liegt direkt voruns. Wir werden es also wie folgt machen: Da zwei von uns zu verletzt sind, um zu rennen, wir an Geschwindigkeit verlieren, wenn ihr uns tragt, und ich nicht will, dass wir uns trennen, setzen wir uns gleich alle auf unsere Rucksäcke und rutschen über diesen Vorsprung bis nach unten. Wie auf Schlitten. Und dann, ta-da , sind wir gesund und munter im Himmel, bevor wir es überhaupt merken.“
Sie hörte zustimmendes Gemurmel.
Nach wenigen Minuten hatten sie sich aufgestellt und waren bereit zum Schlittenfahren. Kaia führte die Truppe an. Sie saß auf ihrem Rucksack, ihre Beine baumelten bereits über der Felskante. Das Herz schlug hart in ihrer Brust. Sie war schon tausendmal von diesem Berg gesprungen, wenn sie mit Bianka „Wer schafft es, sich weniger Knochen zu
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